„Die Steigerung von Konsum, Rendite und Produktivität stehen im Mittelpunkt“
Christiane Weihe
Im Jahr 1992 wurde ein unabhängiges wissenschaftliches Beratergremium gegründet, das sich globalen Umwelt- und Entwicklungsproblemen widmet: der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Seine Aufgabe ist es, Handlungs- und Forschungsempfehlungen zu geben, aber ebenso, auf neue Problemfelder hinzuweisen. So hat sich der WBGU auch der Digitalisierung gewidmet und das Konzept einer digitalisierten Nachhaltigkeitsgesellschaft entwickelt. Wir haben mit der Generalsekretärin des WBGU, der Politökonomin Prof. Dr. Maja Göpel gesprochen – über das Spannungsfeld von Digitalisierung und Nachhaltigkeit ebenso wie über das Konzept des WBGU.
Frau Prof. Göpel, ist die Digitalisierung eher ein Brandbeschleuniger von Umweltzerstörung und Klimawandel oder ein Nachhaltigkeitstreiber?
Derzeit vor allem ein Brandbeschleuniger. Der Energieverbrauch sowie die Nachfrage nach Server-Infrastruktur und mobilen Endgeräten wachsen rasant. Darüber hinaus haben digitale Geräte oft eine kürzere Lebensdauer als andere Konsumgüter. Dazu kommen nachgelagerte Effekte, etwa durch das Rund-um-die-Uhr-Shopping mit kostenlosen Rücksendemöglichkeiten, das auch die letzten Kaufbarrieren fallen lässt. Andererseits kann eine erneuerbare Energieversorgung natürlich nicht auf digitale Planung, Steuerung und Überwachung verzichten.
Lässt sich die Digitalisierung sinnvoll mit Nachhaltigkeitszielen verbinden?
Nicht von allein. Die Steigerung von Konsum, Rendite und Produktivität steht im Mittelpunkt unserer Wirtschaft und dafür wird auch der größte Teil der digitalen Lösungen entwickelt und in den Markt getrieben. So lange die Ziele von Entwicklung, Investitionen und Innovationen nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind, können wir nicht erwarten, dass sich die Digitalisierung als Mittel gegen die tiefen Treiber nicht-nachhaltiger Entwicklung präsentiert.
Was gehört für Sie zu einer digitalisierten Nachhaltigkeitsgesellschaft?
Ziel einer solchen Gesellschaft ist es, die Potenziale der neuen Technologien im Sinne systemischer Innovationen zu nutzen. Welche Ideen, Prozesse oder auch Rahmenbedingungen des bisherigen Entwicklungsmodells passen nicht mehr in die radikal veränderte Welt des 21. Jahrhunderts? Und welche zukunftsfähigen Lösungen können wir unter anderem mit Hilfe von neuem Wissen, neuen Vernetzungsmöglichkeiten, Automatisierungen und Virtualisierung auf den Weg bringen? Dabei geht es um eine Neugestaltung zentraler wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Prozesse um die Zielmarke Nachhaltigkeit herum.
Welche Rahmenbedingungen braucht es dafür?
Zum einen müssen wir dringend die Bildungsinstitutionen und -inhalte an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen und so Menschen befähigen, dieses proaktiv und konstruktiv zu gestalten. Zudem braucht es unter anderem schnell klare Regeln, damit die Digitalisierung nicht von wenigen Konzernen oder einem Überwachungsstaat kontrolliert wird – hier gibt es schon Akzente der EU wie die Datenschutzgrundverordnung oder die Diskussion um eine Digitalsteuer, wir brauchen jetzt aber zügig eine mutige und umfassende Digitalisierungsstrategie. Auch die Vereinten Nationen sind eine zentrale Instanz, da es ein globales Phänomen ist. Wichtig wäre es hier, die in unterschiedlichen Institutionen und Mitgliedsstaaten beginnenden Programme und Maßnahmen zu bündeln.
Sie unterstützen mit der Initiative Scientists for Future die Bewegung Fridays for Future. Wie kam es dazu?
Wir haben das Bündnis gegründet, als sich andeutete, dass die Glaubwürdigkeit der jungen Menschen in der öffentlichen Diskussion in Zweifel gezogen wird – und damit auch die Legitimität ihrer Forderungen, die im Vergleich zum weichgewaschenen politischen Diskurs natürlich extrem sind. Die Jugendlichen beziehen sich aber auf unsere Studien. Zwar hat es die Wissenschaft bislang nicht geschafft, einen ähnlichen öffentlichen Druck für diese Studien aufzubauen. Gleichzeitig konnte sie es aber auch nicht zulassen, dass die Forderungen derjenigen in Frage gestellt werden, die sie ernst nehmen.
Wie bringen sich die Scientists for Future nun ein?
Im Moment versuchen wir vor allem, die vielen Anfragen, die uns erreichen, zu bearbeiten – hier geht es etwa um Beurteilungen von Maßnahmen oder Redebeiträge. Wir hoffen auch, bald eine Förderung zu erhalten, um die vielen Studien mit geeigneten Maßnahmen gebündelt auf der Website präsentieren zu können, die bislang auf vielen Instituts- und Universitätsservern verteilt liegen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
Im Interview mit eco@work: Prof. Dr. Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)