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Im Fokus

Erst die Strategie, dann das Zertifikat

Freiwillige Beiträge zum Klimaschutz

Christiane Weihe

Ob beim Druck von Postkarten, dem Buchen des nächsten Urlaubsflugs oder dem Versand eines Geburtstagsgeschenks – zahlreiche Produkte und Dienstleistungen können wir inzwischen vermeint­lich klimaneutral einkaufen. Der Mechanismus, der dahintersteht: Wer Treibhausgase emittiert, kann bei Klimaschutzprojekten so genannte Kompensa­tionszertifikate erwerben, um diese Emissionen auszugleichen. Dies soll etwa durch die Auffors­tung von Wäldern, den Ausbau erneuerbarer Ener­gien oder die Nutzung von Deponiegas gelingen. Wirklich aufwiegen kann dies das (klimaschädliche) Handeln von Unternehmen und Privatperso­nen jedoch nicht, wie die Expert*innen des Öko-Instituts betonen. Sie halten stattdessen den An­satz der Klimaverantwortung für notwendig, bei dem ein verantwortungsgerechter Preis für Treibhausgasemissionen festgelegt wird.

Der Markt für die Kompensation oder auch das Carbon Offsetting ist in den vergangenen Jahren rasant gewach­sen. Laut einer Marktumfrage des Um­weltbundesamtes für die Jahre 2017 bis 2020 hat sich das Volumen verkaufter und stillgelegter Zertifikate hierzulan­de in diesem Zeitraum von 22,1 auf 43,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) fast verdoppelt. Zwischen 2016 und 2020 hat es sich sogar mehr als versechsfacht und ein weiterer Anstieg wird erwartet.

Und wie sinnvoll ist das alles? „Die Nut­zung von Zertifikaten kann sinnvoll sein. Aber nur, wenn zuvor alles getan wurde, um die Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren. Was vermieden werden kann, muss auch vermieden werden“, sagt Martin Cames. „Das heißt konkret: Wir müssen Strategien entwi­ckeln, wie wir klimaverträglich handeln können – als Individuen ebenso wie in Unternehmen oder anderen Institutio­nen. Privatpersonen haben hier mehr Einfluss, als sie vielleicht denken – bei der Wahl des Stromanbieters und des Verkehrsmittels für die nächste Urlaubs­reise als auch bei der Wahl einer Partei, die sich für den Klimaschutz einsetzt. Wir sollten uns immer wieder die Frage stellen, was wir für den Klimaschutz tun können.“ Unternehmen brauchen hier­für aus Sicht des Wissenschaftlers eine langfristige und übergreifende Strate­gie. „Sie benötigen einen öffentlichen und nachvollziehbaren Plan, wie sie ihre Emissionen auf null senken wollen, und ein Monitoring, das immer wieder zeigt, ob sie ihre Ziele erreichen. Das ist kein leichter Weg, denn er braucht Zeit sowie finanzielle und personelle Res­sourcen.“ Gleichzeitig betont Cames: Es gibt nur ein begrenztes Potenzial für die Aufnahme von CO2 aus der Atmosphä­re. „Dieses muss für jene Emissionen genutzt werden, die sich schlicht nicht vermeiden lassen – etwa aus der Land­wirtschaft.“ Der Klimaschutzexperte vom Öko-Institut hält zudem Rebound-Effekte für möglich. „Wer sein Gewissen mit dem Kauf von Zertifikaten beruhigt, wird etwa in Zukunft durch diese Mög­lichkeit vielleicht sogar mehr fliegen.“

Auch die Verabschiedung des Pariser Übereinkommens stellt das Konzept der freiwilligen Kompensation vor wei­tere Herausforderungen. Denn seit­her haben nun alle Staaten Klimaziele. Dadurch rechnen sich nicht nur die Käufer*innen der Zertifikate die Minde­rungen an, sondern auch die Länder, in denen die Projekte umgesetzt werden. „Mit Artikel 6 des Abkommens kann die­se Problematik adressiert werden, doch an der Umsetzung wird noch gearbei­tet. Bei einer solchen Doppelzählung ist es schwierig, von Klimaneutralität oder einer Kompensation der Emissionen zu sprechen“, erklärt Martin Cames. „Auch deshalb sollten wir das Modell der Kom­pensation überdenken.“ Darüber hin­aus gibt es zahlreiche Probleme mit der Qualität der gehandelten Zertifikate – wie der Artikel „Klimakompensation in der Krise“ auf Seite 8 zeigt.

GREEN CLAIMS

Die freiwillige Nutzung von Zertifika­ten ist bisher staatlich nicht reguliert – weder in Deutschland, noch auf EU-Ebene. Eine neue EU-Richtlinie – die Green Claims Directive – soll zumindest Standards für umweltbezogene Aussa­gen für Dienstleistungen und Produkte setzen. „In Zukunft könnten bestimmte Sprachregelungen wie Werbung mit dem Begriff Klimaneutralität nicht mehr zulässig sein oder eingeschränkt wer­den“, sagt Martin Cames.

Derzeit analysiert das Öko-Institut im Projekt „Study on existing initiatives to inform potential climate-related dele­gated act(s) under the Green Claims Directive” für die Europäische Kom­mission die Fragen, wie Greenwashing durch Kompensation vermieden wer­den kann, wie verhindert werden kann, dass Verbraucher*innen getäuscht wer­den, und welche Optionen es gibt, den Markt zu regulieren. „Wir beschäftigen uns in der Studie mit so genannten de­legierten Rechtsakten, mit denen die Europäische Kommission die Bestim­mungen ergänzen kann – hier lassen sich klimabezogene Angaben weiter spezifizieren“, erklärt Lambert Schnei­der, Forschungskoordinator für interna­tionale Klimapolitik am Öko-Institut. „So könnte die Kommission etwa festlegen, welche Informationen und Vorausset­zungen für bestimmte Umweltaussa­gen bereitgestellt werden müssen.“ Das Projektteam entwickelt – basierend auf einer Analyse bestehender Initiativen im freiwilligen Kohlenstoffmarkt – kon­krete Empfehlungen für diese delegier­ten Rechtsakte.

Mit den Rahmenbedingungen für frei­willige Beiträge zum Klimaschutz be­schäftigt sich das Öko-Institut gemein­sam mit zahlreichen Projektpartnern derzeit auch im EU Horizon-Projekt Achieving high-integrity voluntary climate action (ACHIEVE). Ein Schwer­punkt ist dabei die Nutzung von Zerti­fikaten. „Wir analysieren dabei sowohl die Integrität von Zertifikaten als auch, wie diese verwendet werden. Ziel ist es, konkrete Empfehlungen abzuleiten, wie der freiwillige Kohlenstoffmarkt refor­miert werden kann“, erklärt Schneider.

KLIMAVERANTWORTUNG

Für wirksamen Klimaschutz braucht es aus Sicht des Öko-Instituts deutlich mehr als Kompensation – ein wirkungs­volles Instrument könnte hier das Prin­zip der Klimaverantwortung sein. Statt wie beim Offsetting die verbleibenden Emissionen durch den Kauf von Min­derungsgutschriften auszugleichen, werden diese mit einem CO2-Preis multipliziert, der für die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens notwendig ist. „Das dadurch erzielte Klimabudget kann dafür eingesetzt werden, innovativen Klimaschutz zum Beispiel durch E-Fuels zu finanzieren“, so Martin Cames. Doch wie hoch ist ein verantwortungsgerechter Preis genau? „Die Spanne reicht vom Preis für Emissi­onsrechte im Emissionshandelssystem, der derzeit zwischen 50 und 60 Euro je Tonne CO2 liegt, bis zu den Schadens­kosten von Treibhausgasemissionen, für die das Umweltbundesamt über 200 Euro je Tonne CO2 ansetzt. Es wäre wün­schenswert, wenn sich hier ein Wettbe­werb zwischen den Unternehmen um die besten Ansätze entwickelt. Dass sie über den Preis zeigen, inwieweit sie wirklich dazu bereit sind, Verantwor­tung zu übernehmen.“ Verantwortung will übrigens auch das Öko-Institut selbst übernehmen. „Wir haben uns auf den Weg gemacht, das Prinzip der Klimaverantwortung zu etablieren. Wir sehen, dass das kein einfacher Weg ist. Aber ebenso einer, den wir gehen wol­len und müssen.“

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Die nationale und internationale Klimapolitik steht im Mittelpunkt der Arbeit von Dr. Martin Cames. So beschäftigt sich der Volkswirt unter anderem mit flexiblen Mechanismen im internationalen Klimaschutz wie dem Emissionshandel, Treibhausgastrends und -projektionen sowie Instrumenten zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Luft- und Schiffsverkehr.

Ansprechpartner am Öko-Institut