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Im Fokus

Klimakompensation in der Krise

Die Qualität von Klimazertifikaten

Christiane Weihe

Meist ist es nur ein Klick. Ganz kurz bevor ich meinen Kauf abschließe. Doch entlastet der Haken „Emissio­nen kompensieren“, den ich da setze, das Klima wirklich? Kurze Antwort: in vielen Fällen leider nicht. Denn hinter zahlreichen Klimaschutzzertifikaten stecken keine tatsächlichen Emissionsminderun­gen. Der Markt für sie ist in einer Krise, seit immer mehr Studien belegen, dass viele Klimaschutzpro­jekte auch ohne Zertifikate umgesetzt worden wä­ren oder die Treibhausgasminderungen deutlich überschätzt werden. Das Öko-Institut forscht nicht nur zur Qualität von Klimaschutzzertifikaten – mit der Carbon Credit Quality Initiative (CCQI) hat es au­ßerdem ein Projekt ins Leben gerufen, das Risiken bei der Qualität von Zertifikaten identifiziert und so zu einer Reform des Marktes beitragen will.

Auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt müssen sich Klimaschutzprojekte bei Kompensationsprogrammen registrieren, die wiederum Anforderungen definieren – so etwa mit Blick darauf, welche Projekte zugelassen werden und wie die Emissionsminderungen berechnet werden. „Leider sind diese Anforderungen jedoch oftmals nicht ausreichend“, sagt Lambert Schneider, Forschungskoordinator für internatio­nale Klimapolitik am Öko-Institut.

Ein zentrales Qualitätskriterium ist zum Beispiel die Zusätzlichkeit, also die Frage, ob ein Klimaschutzprojekt erst durch die Zertifikate ermöglicht wird oder auch ohne sie umgesetzt worden wäre. „Eine robuste Abschätzung der tatsächlich erzielten Emissionsmin­derungen ist zudem extrem wichtig“, sagt Lambert Schneider, „ebenso wie die Dauerhaftigkeit der Minderungen. Wird ein Wald aufgeforstet, aber später durch ein Feuer wieder zerstört, wird der gespeicherte Kohlenstoff wieder freigesetzt. Damit ist dem Klima nicht geholfen.“ Darüber hinaus sind für eine hohe Qualität eine ganze Reihe weiterer Aspekte wichtig. Hierzu zählt etwa, dass die Minderungen nicht doppelt angerechnet werden, dass Umwelt- und So­zialstandards eingehalten werden und wie sorgfältig die Projekte unabhängig geprüft werden.

Damit die Qualität wirklich stimmt, muss ein Klimaschutzprojekt in allen Aspekten gut abschneiden. „Oft haben Zertifikate schon eine schlechte Quali­tät, wenn nur ein Aspekt nicht erfüllt ist. Sind die Emissionsminderungen zum Beispiel robust quantifiziert, das Pro­jekt ist aber nicht zusätzlich, bringt das nichts“, erklärt Schneider. „Ist das Pro­jekt hingegen zusätzlich, aber die Min­derungsleistung wird deutlich über­schätzt – und das passiert etwa bei Pro­jekten zur Vermeidung von Entwaldung oftmals in immensem Maße – dann ist es mit der Qualität auch nicht weit her.“

CARBON CREDIT QUALITY INITIATIVE

Mit der Carbon Credit Quality Initiative hat das Öko-Institut gemeinsam mit dem WWF USA und dem Environmental Defense Fund ein Projekt ins Leben gerufen, das dazu beitragen soll, die Qualität von Klimaschutzzertifikaten zu verbessern. „Wir wollen transparent über deren Qualität informieren und haben dafür klare Kriterien sowie eine Bewertungsmethode entwickelt“, sagt Felix Fallasch, Co-Leiter des Projekts. In einem zweiten Schritt hat das Projektteam diese Methode auf insgesamt elf verschiedene Projekttypen angewandt, so zum Beispiel die Nutzung von De­poniegas, Windkraftanlagen oder ef­fiziente Kochherde. Im Fokus stehen dabei die fünf größten Programme für Emissionsgutschriften: der Ameri­can Carbon Registry (ACR), der Clean Development Mechanism (CDM), die Climate Action Reserve, der Gold Stan­dard und der Verified Carbon Standard von Verra. Im Rahmen der CCQI haben die Expert*innen zudem ein Online-Tool entwickelt. Dieses ermöglicht es Nutzer*innen, die Qualitätsrisiken für unterschiedliche Arten von Zertifikaten zu bewerten. Außerdem bereiten Fact-sheets diese Informationen verständlich auf.

Neben der CCQI gibt es zudem zahlrei­che weitere Initiativen, die sich der Qua­lität von Zertifikaten widmen. So entwickelt der Integrity Council for the Vo­luntary Carbon Market (ICVCM) derzeit einen globalen Meta-Standard für die Qualität von Zertifikaten. „Darüber hin­aus gibt es mehrere Unternehmen, die einzelne Klimaschutzprojekte bewerten – so etwa Calyx Global oder Sylvera“, so Schneider (siehe hierzu auch Interview mit Donna Lee auf Seite 13).

EFFIZIENTE KOCHHERDE

Anhand der Bewertungen der CCQI zei­gen sich die vielen Probleme und Herausforderungen, die zur Vertrauenskrise im freiwilligen Kohlenstoffmarkt ge­führt haben – so etwa am Beispiel von effizienten Kochherdprojekten. Diese haben mit 15 Prozent inzwischen einen beachtlichen Marktanteil – und können die Lebensqualität von Menschen im globalen Süden verbessern. Die Analyse der CCQI zeigt, dass effiziente Kochherde zu mehreren Nachhaltigen Entwick­lungszielen (SDGs) beitragen können. Durch die effizientere Verbrennung re­duziert sich die Luftverschmutzung in Innenräumen und insbesondere Frau­en und Kinder müssen weniger Zeit damit verbringen, Feuerholz zu sam­meln. „Darüber hinaus erhöhen sie die Energieeffizienz und senken die Brenn­stoffkosten, der Druck auf die Wälder wird reduziert, so dass diese besser als Kohlenstoffspeicher wirken können“, erklärt Nora Wissner, Wissenschaftlerin am Öko-Institut. Positiv zu vermerken ist auch, dass Projekte in ländlichen Re­gionen aller Voraussicht nach zusätzlich sind. Die Emissionsminderungen wer­den jedoch erheblich überschätzt. „Hier gibt es gleich mehrere Probleme“, so Felix Fallasch. „So wird zum Beispiel der Anteil des gesammelten Feuerholzes, der über die Menge an Biomasse hin­ausgeht, die über ein Jahr hinweg im Wald nachwächst, systematisch über­schätzt. Studien haben zudem gezeigt, dass die neuen Herde nicht so häufig in Gebrauch sind wie angenommen, weil der alte Herd nebenher weiter be­nutzt wird.“ Auch die Dauerhaftigkeit der Minderungen sei nicht zwingend gewährleistet. „Das Einsparen von Feu­erholz führt zu mehr Speicherung von Kohlenstoff in Wäldern. Doch es kann passieren, dass diese Wälder trotzdem zerstört werden – etwa für die Landwirtschaft“, sagt der Experte vom Öko-Institut. Bei effizienten Kochherdprojek­ten besteht darüber hinaus das Risiko, dass Waldprojekte in derselben Gegend sich die gleichen Minderungen wie die Kochherdeprojekte anrechnen. „Solche Überschneidungen müssen systema­tisch geprüft werden.“ Damit effiziente Kochherde ihre Vorteile ausspielen kön­nen, brauche es deutlich verbesserte Regelungen in den Kohlenstoffpro­grammen.

KEINE ÖKONOMISCHEN ANREIZE?

Ein grundsätzliches Problem ist für Lambert Schneider, dass keiner der Marktakteure einen ökonomischen Anreiz hat, die Qualität zu verbessern – abgesehen von möglichen Reputati­onsschäden. „Die Käufer*innen wollen möglichst günstige Zertifikate erwer­ben, die Projektentwickler*innen wol­len möglichst viele Zertifikate und da­mit Einnahmen zur Finanzierung ihrer Projekte bekommen, die unabhängigen Zertifizierungsunternehmen wollen ihre Kund*innen nicht verlieren und die Kohlenstoffprogramme wollen ihren Mitbewerber*innen keine Marktanteile überlassen.“

Wie lassen sich die bestehenden Pro­bleme also lösen? „Bislang ist völlig unklar, wie sich der Markt entwickeln wird. Wird er seine Bedeutung verlie­ren oder wird er weiterwachsen? Wer­den die Probleme kleingeredet oder nachhaltig angegangen?“ Der freiwil­lige Kohlenstoffmarkt befindet sich in einer Krise, es geht um Qualität, um Vertrauen und um Glaubwürdigkeit. „Er muss sich von Grund auf reformieren, damit er in Zukunft eine Rolle spielen kann und mit den Zertifikaten nicht nur Greenwashing betrieben wird“, sagt Lambert Schneider. Hierbei könnten mehrere Entwicklungen eine Rolle spie­len. „Inzwischen gibt es einen sehr star­ken öffentlichen Druck, auch von den Käufer*innen – dies könnte dazu führen, dass sich etwas bewegt. Viele sind in­zwischen bereit, für höherwertige Zerti­fikate auch höhere Preise zu bezahlen.“ Initiativen wie die CCQI oder die ICVCM und die neuen Rating-Agenturen wie Calyx Global schaffen mehr Transpa­renz zur Qualität von Zertifikaten und erhöhen den Druck auf die Programme, ihre Regeln zu verbessern. Viele Staaten führen zudem gesetzliche Regelungen ein, um Greenwashing im freiwilligen Kohlenstoffmarkt einzudämmen (sie­he hierzu ausführlich den Artikel „Erst die Strategie, dann das Zertifikat“ auf Seite 6). Eine wichtige Signalwirkung haben außerdem die zahlreichen Kla­gen wegen irreführender Werbung, die es inzwischen gegen Unternehmen gibt, die ihre Produkte mit dem Siegel der Klimaneutralität auszeichnen. „Und auch das Öko-Institut wird weiter daran arbeiten, die bestehenden Mängel transparent zu machen und Optionen zur Reform des Marktes zu identifizie­ren“, so Lambert Schneider.

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Bereits von 2000 bis 2009 war Dr. Lambert Schneider als Wissenschaftler für das Öko-Institut tätig. Nach weiteren Stationen bei den Vereinten Nationen und dem Stockholm Environment Institute kehrte er 2019 als Forschungskoordinator für internationale Klimapolitik in den Bereich Energie & Klimaschutz zurück. Hier widmet er sich unter anderem den UN-Klimaverhandlungen, internationalen Kohlenstoffmärkten und der Quantifizierung von Treibhausgasemissionen.

Ansprechpartnerin und -partner am Öko-Institut