Schlechte Argumente
Die Tomate sieht nicht anders aus. Sie schmeckt wahrscheinlich auch nicht anders. Muss ich trotzdem wissen, ob sie gentechnisch verändert wurde? Klare Antwort: Auf jeden Fall. Denn jede*r von uns sollte die Freiheit haben, zu wählen, welche Lebensmittel wir essen. Der Wunsch, auf Gentechnik zu verzichten, kann viele Gründe haben – etwa die bereits heute hohe Abhängigkeit der Landwirtschaft von großen Saatgutproduzenten.
Ich betrachte mit Sorge, wie sich auch bei politischen Akteur*innen die Haltung einschleicht, man müsse gentechnisch veränderte Organismen, kurz GVO, nicht mehr als solche kennzeichnen. So hat die EU-Kommission einen Vorschlag für die Reformierung der schon sehr in die Jahre gekommenen Gentechnik-Gesetze veröffentlicht. Nach ihm sollen GVO, die mit neuen genomischen Techniken (NGT) erzeugt wurden, nicht mehr als solche gekennzeichnet werden. Das bringt nicht nur Landwirt*innen, sondern auch die Lebensmittelhersteller*innen in die Bredouille – denn so können sie nicht mehr garantieren, dass ihre Produkte GVO-frei sind, was vor allem für den Ökolandbau ein großes Problem wäre. Das Argument der Kommission für die Deregulierung: Da bei den neuen Methoden sehr gezielte und kleine Eingriffe im Genom vorgenommen werden, gäbe es vielfach keine ausreichenden Möglichkeiten, diese in einem Labortest nachzuweisen.
Dieses Argument verkennt jedoch, dass es auch andere Möglichkeiten für eine wirksame Gesetzgebung sowie alternative Rückverfolgungsstrategien gibt, wie das Öko-Institut gemeinsam mit dem österreichischen Umweltbundesamt und dem Bundesamt für Naturschutz in der Analyse „Nachweisbarkeit und Nachverfolgbarkeit von GVO-Produkten – Nachverfolgbarkeitsstrategie für Importwaren“ zeigt. Dass die neuen GVO nicht mehr so leicht identifiziert werden können, heißt im Umkehrschluss nicht, dass sie nicht regulierungsfähig sind. Denn es bestehen bereits Erfahrungen bei der Regulierung von Produkten, bei denen ein Labortest nicht weiterhilft.
Das zeigt sich am Beispiel von Konfliktmineralien: Wir können bei Gold oder Erzen auch nicht mit technischen Methoden nachweisen, dass sie nicht aus einem Konfliktgebiet kommen. Und trotzdem gibt es eine EU-Verordnung, die Sorgfaltspflichten für Unternehmen definiert – dies dämmt die Verwendung von Konfliktmineralien ein. Oder auch die EU-Richtlinie für entwaldungsfreie Lieferketten. Auch beim Import von Soja lässt sich zum Beispiel nicht durch einen Labortest überprüfen, ob für seinen Anbau Regenwald gerodet wurde. Dennoch gibt es eine Regulierung, die darauf abzielt, genau das zu verhindern. Solche Regelungen können auf GVO übertragen werden – etwa indem es auch hier Sorgfaltspflichten für Unternehmen gibt und diese verpflichtet werden, die Risiken von GVO in ihren Lieferketten zu minimieren sowie Verantwortung für diese zu übernehmen. In einer Praxisübung haben wir gezeigt, dass der Mehraufwand für die Unternehmen gering wäre – denn schon heute erfüllen Unternehmen, die zertifizierte gentechnikfreie Produkte verkaufen, viele Elemente einer möglichen Sorgfaltspflichtenregelung. Sinnvoll wäre darüber hinaus eine internationale Datenbank, die Informationen über gentechnisch veränderte Organismen und Produkte enthält.
Wichtig ist eine Regulierung von GVO aus meiner Sicht übrigens auch, weil ihre Verkaufsversprechen – so etwa, dass entsprechende Pflanzen genügsamer und resilienter sind – oft nicht bewiesen sind. Und gleichzeitig noch nicht klar ist, welche Wirkungen sie auf Umwelt und Menschen haben. Sehr viel wichtiger ist es aus meiner Sicht daher, dass wir endlich mehr Pflanzen und weniger Tiere essen. Dies ist ein wesentlicher Hebel, um das Klima zu schützen und höhere Erträge für die Welternährung zu schaffen.
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Dr. Jenny Teufel arbeitet seit 2001 für das Öko-Institut, sie ist im Bereich Produkte & Stoffströme unter anderem als Gruppenleiterin Nachhaltige Ernährungssysteme und Lebensweisen tätig. Die Biologin befasst sich unter anderem mit der Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitskennzeichnungen und der Kriterienentwicklung für Nachhaltigkeitsstandards.