Das Elektro-Bürgerauto von Oberreichenbach
Christiane Weihe
Inzwischen kommt sogar Besuch aus Tunesien. Aber auch aus Aachen und Pforzheim sind Menschen nach Oberreichenbach gereist, um sich anzuschauen, wie das funktioniert – Elektromobilität im ländlichen Raum. Denn schon seit 2012 betreibt die 3.000-Einwohner-Kommune im Nordschwarzwald das so genannte Elektro-Bürgerauto. „Wir waren die ersten, die so etwas in Deutschland umgesetzt haben“, sagt der Bürgermeister Karlheinz Kistner, „Ziel war es, die Mobilität in Oberreichenbach zu verbessern, denn hier gibt es keine Apotheke, keinen Zahnarzt, keinen Klamottenladen.“
Am Anfang standen viel Organisation und Bürokratie, die Gemeinde musste sich mit der Fahrerlaubnis-Verordnung ebenso auseinandersetzen wie mit dem Personenbeförderungsgesetz. „Da Oberreichenbach damit kein Geld verdient, sondern über 10.000 Euro jährlich dafür ausgibt, gilt es als genehmigungsfreier Verkehr – das hat die Umsetzung sehr viel einfacher gemacht“, so Kistner. Zwischen 8 und 20 Uhr kann das E-Bürgerauto in Oberreichenbach genutzt werden, eine Fahrt innerhalb eines Ortsteils kostet einen Euro, für zwei Euro geht es in einen anderen Ortsteil und für drei Euro in die Nachbargemeinde. „Die Fahrten werden telefonisch bei den Fahrerinnen und Fahrern gebucht – sie zu finden, war die größte Herausforderung“, erklärt der Bürgermeister. „Sie tun dies ehrenamtlich, bekommen aber eine Aufwandsentschädigung von 20 Euro am Tag.“ Rund 2.000 Personen nutzen das Elektro-Bürgerauto im Jahr, die meisten davon Seniorinnen und Senioren, die sich damit vor allem ins Krankenhaus sowie zu Ärztinnen und Ärzten bringen lassen. Zwei Partner – die Energie Calw (ENCW) sowie das Renault Autohaus Lohre aus dem nahe gelegenen Ostelsheim – begleiten das Projekt von Anfang an. „Die ENCW hätte das Auto nach dem ersten Jahr übernommen, wenn die Nachfrage zu gering gewesen wäre, das hat unser finanzielles Risiko deutlich reduziert.“
Zusätzlich rief Oberreichenbach das Projekt Elektro-mobile Schule ins Leben. Ein weiteres Elektrofahrzeug wird an der Berufsschule für die Lehre eingesetzt, etwa für Fahrsicherheitstrainings oder kleinere Wartungen, aber auch als Dienstfahrzeug für die Verwaltung der Stadt Calw sowie als zweites Elektro-Bürgerauto. Doch damit war es der Gemeinde nicht genug. Seit 2018 gibt es in Oberreichenbach auch Carsharing mit Elektroautos, durchgeführt in Kooperation mit dem ENCW-Tochterunternehmen deer Carsharing. „Seit 2020 gibt es in allen vier Ortsteilen ein Fahrzeug“, sagt Karlheinz Kistner, „es steht an einer Mobilitätsstation, an der eine Ladesäule, die Bushaltestelle, ein Parkplatz und Fahrradständer zusammenkommen.“ Das Carsharing-Auto kann nach der Nutzung an einer beliebigen Station von deer zurückgegeben werden.
Elektromobilität im ländlichen Raum – in Oberreichenbach beweisen Kistner sowie seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter, dass sie funktioniert. „Weil es einfach ist, es gibt keine großen Hürden für die Nutzung“, so der Bürgermeister, „das Wichtigste sind außerdem die Menschen, für die es gedacht ist. Nicht das Geld oder die Autos.“ Dass die Gemeinde bereits mehrere Preise bekommen hat – etwa beim Bundeswettbewerb „Kommunaler Klimaschutz 2012“ – liegt sicher nicht nur an der Idee. Sondern auch an dieser Einstellung.