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Editorial

Die Forschung kann was

Das Vorwort von Jan Peter Schemmel, Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts

Transformation bedeutet tiefgreifenden Wandel. Keinen, der einfach passiert, sondern einen, den wir gestalten. Dazu gehört ebenso, Lebensgewohnheiten zu ändern. Auch bewusst auf etwas zu verzichten, befördert Wandel. Aber viele Menschen schrecken vor Verzicht zurück. Doch: Wäre der wirklich so schlimm? Wer sich an Projekten zur sozial-ökologischen Transformation beteiligt, kann dies und anderes einfach ausprobieren. Das Auto für eine Weile durch ein Lastenrad ersetzen. Versuchen, mit weniger Wohnraum auszukommen. Wer die Vorteile eines nachhaltigeren Alltags spürt, will vielleicht gar nicht mehr ins Auto steigen – so wie die zahllosen Bürger*innen, die sich das 9-Euro-Ticket aus dem Sommer 2022 zurückwünschen.

Die Formate der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung (TransNaF), wie etwa Reallabore, ermöglichen häufig genau das: in abgegrenzten Experimentierräumen neue Ansätze auszuprobieren. Eine große Aufgabe liegt aber darin, ihre Ergebnisse später in die breite Anwendung zu bekommen. Die Herausforderung, erfolgreiche Pilotprojekte auf weitere Kommunen zu übertragen, ist mir aus meiner Zeit in der Entwicklungszusammenarbeit vertraut. Es gelingt unter anderem durch Vernetzung, die auch für TransNaF zentral ist. So wurde bei einem Projekt für ein besseres Abfallmanagement in Mexiko ein Fortbildungs- und Berater*innen-Netzwerk aufgebaut. Für solche Schritte müssen Kapazitäten und Mittel bereitstehen. Heißt: Auch die Förderung transdisziplinärer Forschung muss dies mitdenken.

Besonders wichtig ist es bei der TransNaF zudem, die Perspektiven und praktische Expertise gesellschaftlicher Akteur*innen und der Bevölkerung bei der Problemlösung einzubinden. Denn Transformation ist kein rein technologischer Prozess, sondern muss mit der Gesellschaft gestaltet werden. Daher muss der Entwurf der „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ des Bundesbildungsministeriums gesellschaftliche Fragen deutlich stärker berücksichtigen. Er konzentriert sich bislang zu stark nur auf technische Innovationen.

Das Öko-Institut hat sich übrigens schon mit anwendungs- und beteiligungsorientierter Forschung befasst als der Begriff transdisziplinäre Forschung noch längst nicht etabliert war. Ein Beispiel hierfür ist das Energiewendenetzwerk mit 400 kommunalen Initiativen, in dem ab Mitte der 1980er Jahre Lösungsansätze erarbeitet und in der Praxis umgesetzt wurden. Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen: Eine so angelegte Forschung kann was. Ihre Ergebnisse sind schon heute unverzichtbar für die sozial-ökologische Transformation. Diese verbinde ich übrigens nicht mit Verzicht oder Einschränkung. Sondern mit Gestaltung und Zukunft. Für uns, aber vor allem für unsere Kinder.

Ihr

Jan Peter Schemmel

j.schemmel@oeko.de