Stadt neu wünschen
Christiane Weihe
Hier könnte etwas Besonderes entstehen. Ein Raum zum Sein. Und nicht nur ein riesiger Parkplatz. Als Anna Graber kurz vor Abschluss ihres Studiums zur Kunst im öffentlichen Raum am Sechseläutenplatz in Zürich vorbeikam, sah sie einen Ort voller Möglichkeiten. „Eigentlich war dies der einzige verbliebene Freiraum in der Stadt – es gab eine große Diskussion, wie er gestaltet werden soll.“ Die Künstlerin hatte viele Ideen, doch ihr Projektantrag scheiterte. Die Idee für das Café des Visions hingegen ließ sich nicht mehr aufhalten. Graber will damit dazu anregen, das Stadtleben neu zu gestalten. „Öffentliche Räume sind meistens durch Verkehr und Handel stark vereinnahmt, sie haben ihre Funktion als Begegnungsräume verloren.“
Mit dem Café des Visions entsteht ein temporärer Dorfplatz: Anna Graber bringt Loungesessel an Orte, an denen sich wenige Menschen aufhalten, obwohl sie aufgrund der Lage gut dazu geeignet wären. Dann schreibt sie eine Frage auf den Asphalt: Was wünschst du dir für diesen Ort? „Durch diese positive Einstiegsfrage und den Krach, den ich beim Aufbau des Cafés mache, funktioniert die geplante Intervention meistens von ganz alleine. Ich will eine neue Form des Diskutierens anstoßen, bei dem Unbekannte miteinander in Kontakt kommen.“ Ziel der Künstlerin ist es dabei auch, das implizite Wissen der Menschen über Stadträume zu sichern und für Planungsprozesse fassbar zu machen. „Die Bewohner*innen tragen immer gerne etwas zum Café des Visions bei, sie haben viele Ideen und Wünsche. Diese können sie selbst mit weißer Farbe in den Raum einschreiben und sie so visualisieren. Und sich natürlich auch mit anderen dazu austauschen.“
Die meisten Teilnehmenden wünschen sich, dass ihre Grundbedürfnisse besser erfüllt werden – mehr Schatten, bequemere und mobile Sitzgelegenheiten. „Es kommt immer der Wunsch nach mehr Grün auf, nach Wasser etwa in Form von Brunnen, nach verkehrsfreien Räumen und dadurch nach mehr Ruhe“, erzählt Anna Graber, „es gibt aber auch außergewöhnliche Ideen wie Klanginstallationen oder begrünte Baugerüste.“ Und: „Fast alle Menschen wünschen sich eine nachhaltige und klimaverträgliche Stadt.“ Graber sammelt die Visionen, fotografiert und dokumentiert sie. So entstehen Wunschkarten, die öffentlich zugänglich sind – in den jeweiligen Städten und online. „Ich stelle sie ebenso den Behörden zur Verfügung, da sie deren Zugang zu Planungsprozessen verändern können.“
Graber setzt das Café des Visions etwa für künstlerische Institutionen oder kulturpolitische Fachstellen um, so zum Beispiel in Zug und Frauenfeld, aber auch schon bei einem Architekturfestival in Barcelona. „Städte werden in der Regel nicht als gestaltbarer Lebensraum verstanden. Wir lagern alle Aufgaben aus, alles ist durchorganisiert – von der Beleuchtung bis zur Abfallentsorgung. Es gibt wenig Raum, auch mal was anderes auszuprobieren. Damit sich unsere Städte im Sinne der Bürger*innen entwickeln, braucht es den Mut, Experimente zu wagen.“
Der Sechseläutenplatz in Zürich hat sich inzwischen übrigens verändert. „Hier gibt es jetzt tatsächlich bewegliche Stühle“, sagt Graber, „das freut mich, denn ich hatte der Stadtverwaltung schon vor vielen Jahren gesagt, dass mobile Sitzgelegenheiten wichtig sind für die Kommunikation der Bürger*innen.“ Den Wunsch, diesen Ort mit weiteren Ideen zu gestalten, hat die Künstlerin allerdings immer noch.