“Wir müssen neue Wege gehen“
Christiane Weihe
In einer Gemeinde zwischen Hamburg und Berlin ist die Einbeziehung der Bürger*innen schon lange Teil der kommunalen Politik: Wittenberge engagiert sich seit vielen Jahren dafür, verschiedene Perspektiven in die Stadtentwicklung zu integrieren. Wie gelingt es, unterschiedliche Akteur*innen für eine Mitwirkung zu begeistern? Wo liegen die Herausforderungen bei der Beteiligung? Antworten auf diese Fragen gibt Martin Hahn. Er leitet das Bauamt der Kleinstadt im Nordwesten Brandenburgs und berichtet auch über die ersten Erfahrungen aus dem Reallabor „Zukunft im ländlichen Raum gemeinsam gestalten (ZUGG)“ (siehe hierzu „Zukunft im Test“ auf Seite 10). Dieses soll in Wittenberge und der Nachbargemeinde Perleberg unter der Überschrift „Wir machen Prignitz“ die Mobilität verbessern und die Innenstädte beleben.
Herr Hahn, warum legt Wittenberge einen so großen Wert auf Beteiligung?
Wir haben festgestellt, dass klassische Partizipationsmaßnahmen, wie sie ge-
setzlich bei Planungs- und Bauvorhaben vorgesehen sind, häufig nicht ausreichen. Viele Wittenberger*innen bekommen davon überhaupt nichts mit. Gleichzeitig ist es oft schwierig, die Bürger*innen bei Maßnahmen der Stadtentwicklung mitzunehmen. Planungen bekommen eine deutlich höhere Akzeptanz, wenn wir vorher eine Mitwirkung organisieren. Gleichzeitig steigert es die Attraktivität von Wittenberge.
Was sind für Sie die Vorteile von ZUGG?
Wir können herausfinden, welche Beteiligungsformate sich für unsere Stadt eignen und werden dabei professionell begleitet. Zusätzlich ist es aus unserer Sicht entscheidend, dass die Beteiligten auch in die konkrete Umsetzung integriert sind. Andere Projekte gehen oftmals nicht über die Ideenfindung hinaus.
Was sind Ihre Erfahrungen nach etwa einem Jahr Reallabor?
Dass es nie Routine wird, sondern viele Überraschungen warten. (lacht) Wir sehen immer wieder, dass eine Moderation des Prozesses durch Dritte sehr wichtig ist. Damit wird klar, dass die Kommune eben auch nur eine Beteiligte unter mehreren ist. Zusätzlich bekommen wir Tools an die Hand, die den Prozess effektiver machen.
Wie gelingt es, Bürger*innen für so einen Prozess zu motivieren?
Ursprünglich wollten wir einen Bürgerrat einrichten. Das ist leider vorerst am Datenschutz gescheitert. Wir hoffen, dass wir das zu einem späteren Zeitpunkt umsetzen können, da man hierfür Bürger*innen gezielt ansprechen kann. Schlussendlich haben wir die Wittenberger*innen über Postwurfsendungen informiert. Wichtig ist es aus meiner Sicht auch, unterschiedliche Formate anzubieten – so wie bei uns eine Online-Umfrage oder Workshops. Außerdem sollte man sich immer vor Augen halten, dass es auf die Ergebnisse ankommt, und nicht enttäuscht sein, wenn weniger Menschen mitmachen als gedacht. Wir merken aber auch, dass der Zuspruch der Bürger*innen steigt.
Welche sozialen Effekte sehen Sie?
Es gibt einen deutlich besseren Austausch zwischen unterschiedlichen In-teressengruppen. Bei einem anderen Beteiligungsprojekt haben wir zum Beispiel unter anderem die Wohnungswirtschaft, den Einzelhandel und Bewohner*innen zusammengebracht. Dadurch entsteht eine größere gegenseitige Akzeptanz, weil man die verschiedenen Sichtweisen hautnah erlebt.
Wo liegen für Sie die größten Herausforderungen?
Man ist teilweise schon sehr eingeschränkt in den Handlungsmöglichkeiten – siehe das Problem mit dem Datenschutz. Wenn man Lastenräder anschaffen und temporäres Mobiliar in der Innenstadt aufbauen will, spielen außerdem die Verkehrssicherheit und das Ordnungsrecht eine Rolle. Bei ZUGG war es zudem nicht so einfach, Menschen zum Mitmachen zu bewegen. Es liefen ja parallel noch andere Beteiligungsformate und zudem beschäftigen sich die Bürger*innen aktuell zwangsweise auch eher mit anderen gesellschaftlichen Problemen.
Tauschen Sie sich mit anderen Kommunen aus?
Ja. In vielen Vorhaben ist das auch so angelegt. Dieser Austausch ist aus meiner Sicht auch sehr wichtig. Denn da könnte ich etwa von einer anderen Brandenburger Kommune lernen, wie es ihr gelungen ist, einen Bürgerrat einzusetzen. Oder ich lerne etwas über neue Formate.
Wie zum Beispiel?
Vor Kurzem habe ich von einem Format erfahren, bei dem Jugendliche über ein Computerspiel dafür begeistert werden sollen, ihre Stadt selbst zu gestalten. Gerade Kinder und Jugendliche sind oft sehr schwer zum Mitmachen zu motivieren. Hier müssen wir neue Wege gehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
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Im Interview mit eco@work: Martin Hahn, Leiter des Bauamts von Wittenberge (Brandenburg).