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Zukunft im Test

Reallabore für eine nachhaltige Transformation

Christiane Weihe

Mit den Nachbar*innen ein Auto teilen – klingt in der Theorie perfekt. Es müssen weniger Fahrzeuge angeschafft werden. Wir gewinnen viel Platz. Und es bringt uns näher in Kontakt mit vielen Menschen in unserer Nähe. Doch wie bringt man die Menschen in der Praxis dazu, auf das eigene Fahrzeug zu verzichten oder es mit der Nachbarin zu teilen? Und welche Effekte auf Umwelt, Klima und Gesellschaft hätte das tatsächlich? Um diese Fragen zu beantworten, bringen Reallabore Theorie und Praxis zusammen: In ihnen entwickeln unterschiedliche Akteur*innen mit wissenschaftlicher Begleitung gemeinsam Lösungen für die sozial-ökologische Transformation. Dabei entstehen alltagstaugliche Ideen für eine nachhaltige Mobilität ebenso wie für lebenswerte Innenstädte oder eine effiziente Nutzung von Wohnraum.

„Reallabore sind ein recht junges Format, aber auch eines mit viel Potenzial“, sagt Dr. Manuela Weber vom Öko-Institut. Doch was ist das eigentlich genau, ein Reallabor? „Grundsätzlich ist die Idee hinter dieser Forschungsmethode immer, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen – so etwa in Richtung Nachhaltigkeit und Gemeinwohl – und dazu Wissenschaft und Praxis zusammenzubringen. Akteur*innen aus der Wirtschaft können ebenso einbezogen werden wie solche aus Bürgerinitiativen oder Kommunen. Wichtig ist, dass alle über den gesamten Prozess hinweg auf Augenhöhe zusammenarbeiten.“

Ein gemeinsamer Prozess

Reallabore sind ein Format der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung (siehe hierzu auch „Gemeinsames Pro­blem, gemeinsame Lösung“ auf Seite 6). In ihnen werden Ansätze für eine sozial-ökologische Transformation erprobt, sie experimentieren mit Dienstleistungen und Technologien unter realen Bedingungen. Die beteiligten Akteur*innen entwickeln dabei in einem gemeinsamen Prozess ganz konkrete Produkte oder Dienstleistungen und setzen diese auch gemeinsam um. „Das ist herausfordernder als es vielleicht klingt, denn hier prallen unterschiedliche Lebens- und Arbeitswelten aufeinander“, so die Wissenschaftlerin. „daher sollte man von Anfang an ein gemeinsames Ziel und Vorgehen definieren. Im Reallabor gibt es einen kontinuierlichen Aushandlungsprozess, für den es Kompromissbereitschaft braucht. Das hilft aber auch dabei, die eigene Perspektive zu hinterfragen und den Blick zu weiten.“

Es gibt unterschiedliche Ansätze für Reallabore. „Wir legen einen starken Fokus auf die Frage, wie Bürger*innen bei der sozial-ökologischen Transformation beteiligt werden können“, sagt Senior Researcher Weber. Dazu gehört auch, eine gemeinsame Sprache zu finden, alle Akteur*innen schon bei der Ideenfindung einzubeziehen sowie eine Offenheit für unterschiedliche Ideen, Haltungen und Erfahrungen.

Die ländliche Zukunft

Ein Reallabor, das Dr. Manuela Weber derzeit begleitet, ist das Projekt „Zukunft im ländlichen Raum gemeinsam gestalten (ZUGG)“. Dabei stehen unter der Überschrift „Wir machen Prignitz“ die Brandenburger Kleinstädte Perleberg und Wittenberge im Mittelpunkt: Sie sollen sich zu Zukunftsorten entwickeln, die Lebensqualität soll durch bürgerliches Engagement steigen (siehe hierzu auch Interview mit Martin Hahn auf Seite 12). Gemeinsam mit dem Technologie- und Gewerbezentrum Prignitz (TGZ) und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sollen bis Juni 2024 Ideen für die Neubelebung der Innenstädte sowie Angebote für die Nah-Mobilität entwickelt und umgesetzt werden. „Ein Schwerpunkt liegt etwa auf der Frage, wie man auch im ländlichen Raum nachhaltig mobil sein kann.“ Beteiligt sind dabei Bürger*innen ebenso wie die kommunale Verwaltung. „So konnten die Bürger*innen etwa im Frühjahr 2022 darüber abstimmen, welche Pilotprojekte verwirklicht werden könnten. Dabei zeigte sich zum Beispiel, dass das Thema Fahrradfahren in Wittenberge eine große Rolle spielt und sich die Befragten in beiden Städten Begegnungsorte wünschen.“ Neu gebildete Bürgerteams nahmen diese Ergebnisse auf und entwickeln sie weiter. „Hierbei haben wir sehr darauf geachtet, dass die Bevölkerung dabei auch tatsächlich repräsentiert ist.“

Nach ersten Workshops gibt es in beiden Städten bereits konkrete Ideen. „In Perleberg bringen etwa selbstorganisierte Flohmärkte die Menschen zusammen und ermöglichen nachhaltiges Einkaufen. Neben neuen, innovativen Ansätzen bieten übrigens auch solche bekannte Initiativen viel Gestaltungspotenzial. “ Das Bürgerteam Wittenberge engagiert sich in einem Pilotprojekt zum Verleih von Lastenrädern und Bollerwagen, darüber hinaus wollen die Bürger*innen den innerstädtischen Bismarckplatz durch selbstgestaltete Sitzmöbel aufwerten. „Zuvor gab es eine offene Befragung, die etwa Ideen zur Innenstadtbelebung oder konkrete Unterstützungswünsche ermittelt hat“, sagt Weber. „Nach Abschluss des Reallabors sind zudem transkommunale Workshops geplant, bei denen die Erfahrungen weitergegeben werden sollen.“

Nachbarschaftliche Mobilität

Auch in Stuttgart-Rot, Geislingen und Waldburg läuft gerade ein mehrjähriges Reallabor, an dem das Öko-Institut beteiligt ist. Gemeinsam mit der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und der Hochschule für Technik Stuttgart widmen sich die Wissenschaftler*innen im Projekt „MobiQ – Nachhaltige Mobilität durch Sharing im Quartier“ der Frage, wie Bürger*innen ihre Mobilität gemeinsam organisieren und dabei etwa Verkehrsmittel teilen können. Hierfür wurden bereits über eine Literaturanalyse und Interviews mit Expert*innen, die sich mit nachbarschaftlich organisierter Mobilität auskennen, Erfolgsfaktoren und Hemmnisse analysiert. „Dies ist auch ein zentraler Punkt der wissenschaftlichen Begleitung von Reallaboren. Wir bringen nicht nur unsere eigene Erfahrung aus solchen Projekten mit, sondern schauen uns direkt zu Projektbeginn vorhandene Daten und Best Practice-Beispiele an, um die Situation vor Ort und Erfolgsfaktoren besser einschätzen zu können.“ In der Analyse zeigte sich unter anderem, dass solche Projekte die Unterstützung von Politik und Verwaltung brauchen, um erfolgreich zu sein und eine finanzielle Förderung wichtig ist, um Mobilitätsangebote umzusetzen. Aber auch, dass es eine Herausforderung ist, geeignete Fördermöglichkeiten zu identifizieren und dann auch zu nutzen. „Zudem verdeutlicht unsere Vorarbeit, wie wichtig ehrenamtliches Engagement für ein solches Projekt ist.“

In so genannten Werkstätten wurde bei MobiQ bereits über alternative Mobilitätsangebote beraten, Ende 2022 hat die Pilotphase begonnen. Darin soll etwa in Waldburg unter anderem ein Angebot zum Teilen von Lastenrädern etabliert werden, in Geislingen wird ein Bürgerbus erprobt. „In Stuttgart liegt der Fokus hingegen darauf, wie der öffentliche Raum zurückgewonnen werden kann, der heute von Autos dominiert wird. Wie Orte für Begegnung und Austausch entstehen können. Ein erster Schritt hierfür war ein Straßenfest mit Aktionen zu nachhaltiger Mobilität.

Kleinteilig zum Großen

Oft wirkt die Arbeit in Reallaboren sehr kleinteilig. Es geht darum, ein Auto unter mehreren Nachbar*innen zu teilen oder einen ehrenamtlich betriebenen Bürgerbus in einem ländlichen Ort zu etablieren. „Doch wenn solche Projekte durch unsere Erkenntnisse auch an anderen Orten einfacher entstehen können, kann daraus etwas sehr Großes werden“, sagt Dr. Manuela Weber. „Aus sozialer ebenso wie aus ökologischer Sicht.“

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Wie kann Mobilität nachhaltiger werden? Diese Frage steht im Mittelpunkt der Forschung von Dr. Manuela Weber. Die Soziologin beschäftigt sich mit alternativen Mobilitätskonzepten wie Carsharing ebenso wie mit der Digitalisierung im Verkehr. Ein starker Fokus liegt dabei auch auf der Evaluation von Projekten und dem Teilen ihrer Erkenntnisse.