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Im Fokus

Erste Schritte

Die Suche nach einem Endlagerstandort

Christiane Weihe

Es ist ein Prozess der Superlative. Er betrifft das ganze Land. Im Fokus werden etliche Regionen stehen. Er wird noch Generationen beschäftigen. Es wird etwas gebaut, das bestmögliche Sicherheit garantieren soll, für einen Zeitraum von einer Million Jahren. Ursache für diesen Prozess ist der denkbar gefährlichste Müll – hochradioaktiver Abfall. Die Suche nach einem Endlagerstandort hat im September 2017 offiziell begonnen. Wie dieser Prozess optimal umgesetzt werden kann, daran arbeiten auch die Experten des Öko-Instituts: Sie haben seine Vorbereitung auf verschiedenen Ebenen begleitet und werden ihre Expertise auch bei den kommenden Schritten einbringen.

Zentraler Schritt für die Vorbereitung der Endlagerstandortsuche war die Arbeit der Endlagerkommission, die im Juli 2016 ihren Abschlussbericht veröffentlicht hat. „Es ist ein großer Erfolg, dass es der Endlagerkommission gelungen ist, auf Grundlage des Konsenses über die schiere Notwendigkeit einer neuen Suche diesen Prozesses so detailliert zu beschreiben und dabei die technischen und gesellschaftlichen Aspekte gleichermaßen in den Blick zu nehmen“, sagt Stefan Alt vom Öko-Institut, „das war alles andere als selbstverständlich, schließlich waren sehr unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen aus Bundes- und Landespolitik, Kirchen und Gewerkschaften, aus Umweltverbänden, der Energiewirtschaft und verschiedener Wissenschaftsdisziplinen beteiligt.“ Nun ist die Aufgabe umfassend beschrieben und es kann eine ergebnisoffene Suche geben. Als Mitglied der Endlagerkommission hat auch Michael Sailer, Geschäftsführer am Öko-Institut, das Verfahren wesentlich mitgestaltet. „Die Kommission hat ein Modell vorgelegt, wie die Suche nach einem Endlagerstandort organisiert werden sollte und klare Anforderungen an ein zukünftiges Endlager, aber auch an ein transparentes Auswahlverfahren formuliert“, sagt Alt. „Ziel der Suche sind tiefe geologische Formationen – nur diese sind dauerhaft genug, um die hochradioaktiven Abfälle über lange Zeit sicher zu verwahren, nur für sie können wir glaubwürdige Prognosen abgeben, die sich über eine Million Jahre erstrecken.“ In Frage kommen unterschiedliche Gesteinsarten: Tonstein, Salz und Kristallin wie etwa Granit. Fast 35.000 abgebrannte Brennelemente und 8.000 Behälter – so genannte Kokillen – mit hochradioaktiven Abfällen aus der Wiederaufarbeitung sollen in ein zukünftiges Endlager gebracht werden. Bislang müssen diese Abfälle in Zwischenlagern aufbewahrt werden.

DER STARTSCHUSS

Im März 2017 beschloss der Deutsche Bundestag das novellierte Standortauswahlgesetz (StandAG). „Die Neuorganisation der notwendigen Strukturen und Akteure war da schon in vollem Gang“, erklärt Stefan Alt, „auch sie gehen auf Empfehlungen der Endlagerkommission zurück. Mit der Einrichtung des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit und der Bundesgesellschaft für Endlagerung wurde dabei eine konsequente Aufteilung zwischen Aufsichtsbehörde und Betreiber umgesetzt.“ Diese Institutionen sind nun dafür verantwortlich, die Suche nach einem Endlagerstandort bis zum ambitionierten Zieldatum 2031 erfolgreich umzusetzen.

Der offizielle Startschuss für die Suche nach einem Endlagerstandort fiel Anfang September 2017. „Im ersten Schritt werden ungeeignete Gebiete ausgeschlossen – Gebiete, in den die erforderlichen Gesteinsarten nicht vorkommen, in denen junge Vulkane liegen oder für die eine höhere Erdbebengefährdung bekannt ist, werden sicher frühzeitig aus dem Verfahren ausscheiden“, so Alt, „ausgewählte Standorte, die Mindestanforderungen genügen, werden dann übertägig erkundet. Am Schluss stehen eine untertägige Erkundung sowie der Vergleich möglicher Standorte – und natürlich die Festlegung eines Endlagerstandortes.“

Bei der Suche nach potenziell geeigneten Regionen wird es Konflikte geben, da ist sich Stefan Alt sicher. „Die Landesregierungen in Bayern und Sachsen bringen sich zum Beispiel bereits in Stellung, sie lehnen schon eine Suche in ihren Ländern kategorisch ab, mit dem Verweis, ein geeignetes Gesteinsvorkommen gebe es dort nicht“, erklärt der Diplom-Geologe, „es kann sein, dass die Verantwortlichen auch zu diesem Ergebnis kommen, aber wenn eine Region aus dem Suchprozess ausscheidet, muss sich dies aus der Anwendung der Kriterien ergeben, nicht aus einer reinen Vermutung heraus.“ Für fundierte Entscheidungen sind im Auswahlverfahren geowissenschaftliche Mindestanforderungen und Abwägungskriterien definiert, mit denen die Eigenschaften eines Gesteinsvorkommens in punkto Endlagereignung geprüft werden sollen. Werden Optionen gefunden, die sich gleichermaßen eignen, kommen planungswissenschaftliche Kriterien ins Spiel. „Hier wird dann zum Beispiel geprüft, ob es Siedlungen, Grundwasserkommen oder schützenswerte Natur- oder Kulturgüter in der Nähe gibt – und danach abgewogen, welcher Standort die geringsten Auswirkungen auf diese Schutzgüter haben wird.“ Zur bundesweiten Absicherung potenziell geeigneter Standorte ist zudem inzwischen für tiefe Bohrungen die Zustimmung des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit erforderlich. „In Sachsen wurde zuletzt damit argumentiert, dies würde den Ausbau der Geothermie zum Erliegen bringen – dabei wird das niemanden daran hindern, Erdwärme zu nutzen“, erklärt Stefan Alt, „solche Aussagen diskreditieren ohne Not das Auswahlverfahren.“

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts befassen sich nicht nur mit der Endlagerung in Deutschland – sie werfen immer wieder einen Blick über die Grenzen. „Interessant ist, wie unterschiedlich schwer sich die einzelnen Länder mit der Suche nach einem Endlagerstandort tun“, sagt Stefan Alt, „die Finnen und Schweden, die vor allem Kristallingesteine zur Verfügung haben, sind zum Beispiel schon relativ weit. Unter der Vorrausetzung, dass die geologischen Verhältnisse überall im Land in etwa gleich sind, werden die Endlager dort gebaut, wo sie am praktischsten und am ehesten willkommen sind: an Atomkraftwerksstandorten.“ Deutlich schwerer tut sich nach Ansicht des Wissenschaftlers die Schweiz, wo derzeit drei mögliche Standorte erkundet werden. „In der Schweiz wird, wie bei uns, um Verständnis für eine faire Entscheidung in einem komplexen Verfahren gerungen, dass macht den Prozess ungleich schwieriger“, sagt er.

Mit den Kosten für den Atomausstieg in der Schweiz hat sich das Öko-Institut im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) befasst. Das Gutachten „Prüfung der Kostenstudie 2016 von swissnuclear“ betrachtet, ob die Kostenschätzungen für die Stilllegung der fünf Schweizer Kernkraftwerke und die Entsorgung der anfallenden Abfälle transparent und nachvollziehbar sind. „Die Schweizer Betreiber müssen in einen Fonds einzahlen, zur Festlegung der jährlichen Beiträge gibt es alle fünf Jahre diese Kostenschätzungen“, so Alt, „der Branchenverband swissnuclear schätzt die Kosten derzeit auf 22,8 Milliarden Franken, dieser Betrag ist allerdings mit erheblichen Kostenrisiken behaftet.“ So seien vor allem hinsichtlich der Endlagerung mangelhafte Einschätzungen vorgenommen worden. „Rechtliche und politische Risiken mit Blick auf die Festlegung eines Standortes werden nicht berücksichtigt, geologische Probleme beim Bau oder der Fall, dass der radioaktive Müll zurückgeholt werden muss, werden unterschätzt. Versteckte Kostenrisiken sollen bei Bedarf über Nachzahlungen abgesichert werden, die dann aber gar nicht mehr von den Kernkraftwerken selbst erwirtschaftet werden.“ Auch die Darstellung der Kostenstudie kritisiert das Öko-Institut: „Die Hintergründe der Schätzungen bleiben unsichtbar, um die Nachvollziehbarkeit für eine interessierte Öffentlichkeit ist es an vielen Stellen schlecht bestellt.“ Zum Vergleich: In Deutschland summieren sich die Kosten des Atomausstiegs nach derzeitiger Schätzung auf etwa 77 Milliarden Euro, auch hier sind allerdings bestimmte Kosten wie die Rückholung von Abfällen aus dem maroden Atommülllager Asse oder Vorkehrungen zur Abfallrückholung aus dem zukünftigen Endlager nicht enthalten.

ZUKUNFT UND ÖFFENTLICHKEIT

Einen besonderen Fokus legt das Öko-Institut auch auf kommende Generationen, auf ihre Einbindung in den Prozess und ihre Sensibilisierung für die Aufgaben, die auf sie zukommen – „Auch wenn ein Standort gefunden ist, wird es sicher über hundert Jahre dauern, bis das Endlager schließlich verschlossen ist.“ So wurden schon 2014, unterstützt von der Stiftung Zukunftserbe und gemeinsam mit dem Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU), Lehrmaterialien rund um die Endlagerproblematik erstellt. „Diese haben wir nun den Entwicklungen seither angepasst, eine neue Auflage wurde bereits veröffentlicht“, sagt Stefan Alt.

Darüber hinaus stehen die Experten für Vorträge zur Verfügung – für Schulklassen ebenso wie für andere Interessierte. „Eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung ist zentraler Baustein der Endlagerstandortsuche, so wurde etwa das Nationale Begleitgremium als unabhängige Instanz eingesetzt, die die gesellschaftlichen Belange nicht aus den Augen verlieren soll“, so der Wissenschaftler, „doch die Menschen müssen auch dazu befähigt werden, sich wirklich zu beteiligen.“ Deswegen sei es wichtig, frühzeitig zu informieren, offen und transparent zu kommunizieren. Neben der Arbeit in unterschiedlichen Fachgremien wie der Entsorgungskommission oder der Strahlenschutzkommission sieht er darin auch eine wichtige Aufgabe für sich und seine Kolleginnen und Kollegen vom Öko-Institut. „Wir brauchen Gespräche zwischen Fachleuten, Betroffenen und der breiten Öffentlichkeit. Hier geht es auch darum, auf Grundlage des vermittelten Wissens über das Verfahren und die Beteiligungsmöglichkeiten später auch Verständnis für die finale Entscheidung herzustellen, wie immer sie ausfällt“, sagt der Endlagerexperte, „die Akteure dürfen sich nicht hinter Pressemitteilungen und Internetseiten verschanzen, sondern müssen rausgehen, mitreden und die Betroffenen bestmöglich unterstützen.“