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Perspektive

50 Jahre Mehrwertsteuer

Zeit für mehr Klimaschutz

Manch einem wird ein Glückwunsch an die Mehrwertsteuer wahrscheinlich nur schwer über die Lippen kommen. Fast alle Produkte und Dienstleistungen kosten ihretwegen entweder sieben oder 19 Prozent mehr. Eingeführt wurde die Mehrwert- bzw. Umsatzsteuer hierzulande 1968, verändert hat sich seither vor allem ihre Höhe. Und so brachte sie alleine 2017 gut 173 Milliarden Euro in öffentliche Kassen – eine unverzichtbare Einnahmequelle für Bund, Länder und Gemeinden.

Viele der Regelungen erfolgten vor langer Zeit, zum Beispiel wurde der vergünstigte Steuersatz eingeführt, um Dinge des täglichen Lebens nicht zu sehr zu belasten. Der 50. Geburtstag scheint ein geeigneter Zeitpunkt, diese Regelungen zu überdenken, nicht nur in hinsichtlich der Transparenz und Komplexität, sondern auch mit Blick auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Kleine Beispiele aus unserem persönlichen Alltag verdeutlichen die Notwendigkeit: Während Nahrungsmittel in der Regel dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent unterliegen, werden Pflanzendrinks etwa aus Soja, Hafer oder Mandeln mit 19 Prozent besteuert. Dieser Steuersatz wird auch für eine Langstreckenfahrt von über 50 Kilometern mit der Bahn fällig. Eine internationale Flugreise ist jedoch von der Mehrwertsteuer befreit. In Sachen Klimaschutz ist bei der Mehrwertsteuer also noch Luft nach oben. Die Analyse „Klimaverträglich leben im Jahr 2050“ des Öko-Instituts zeigt, dass auch individuelle Gewohnheitsänderungen eine Rolle für den Klimaschutz spielen. Die Mehrwertsteuer kann daher helfen, Konsumgewohnheiten in die richtige Richtung zu lenken.

Zwar unterliegt die Mehrwertsteuer seit 2006 einer EU-Richtlinie und kann nicht völlig frei gestaltet werden. So muss ihr regulärer Satz bei mindestens 15 Prozent liegen, der ermäßigte Satz darf nicht niedriger als fünf Prozent sein. Doch auch die europäische Mehrwertsteuersystemrichtlinie gibt Spielräume, die Regelungen der Mehrwertsteuer nachhaltiger zu gestalten – so sind etwa zwei ermäßigte Mehrwertsteuersätze möglich, 17 EU-Mitgliedstaaten nutzen derzeit diese Option. Die höchste Mehrwertsteuer innerhalb der EU gibt es mit 27 Prozent übrigens in Ungarn.

Ein Gedankenexperiment: Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch verursacht fast 90 mal so viele CO2-Emissionen wie die Herstellung von einem Kilo Gemüse, da für die Produktion von tierischen Lebensmitteln deutlich mehr Energie, Fläche und Dünger aufgebracht werden muss. Diese Rechnung berücksichtigt die gesamte Wertschöpfungskette, also auch den Diesel für Traktoren, die Düngung oder das Tierfutter – und das unabhängig davon, ob diese Dinge im In- oder Ausland anfallen. Warum also setzt man für pflanzliche Produkte nicht konsequent einen zweiten ermäßigten Mehrwertsteuersatz von zum Beispiel fünf Prozent an? Nach unseren Überschlagsrechnungen würde das den Staat nicht sonderlich belasten. Oder man erhöht den Mehrwertsteuersatz für tierische Produkte auf 19 Prozent. Denn auch das Umweltbundesamt nennt die aktuell reduzierte Mehrwertsteuer für Fleisch- und Milchprodukte eine „umweltschädliche Subvention“. Durch ihren Abbau könnte man genug Steuermehreinnahmen generieren – Verhaltensänderungen der Haushalte schon mitgedacht –, um eventuelle Mindereinnahmen durch die Vergünstigung pflanzlicher Produkte wieder auszugeichen. Begleitet werden sollte dies durch Informationskampagnen zu gesunder und kostengünstiger Ernährung, um die Belastung von einkommensschwachen Haushalten nicht zu erhöhen. Auch in punkto Mobilität kann die Mehrwertsteuer übrigens etwas fürs Klima tun: Setzt man für Bahn- und Fernbusfahrten über 50 Kilometer einen ermäßigten Satz von sieben Prozent an, könnte man durch günstigere Preise mehr Reisende in die Züge locken.

Wie die Mehrwertsteuer für mehr Klimaschutz sorgen kann, verdeutlicht auch ein Blick über die Grenzen. So ist zum Beispiel in Norwegen der Kauf eines Elektroautos von der Mehrwertsteuer befreit – und sie liegt dort bei immerhin 25 Prozent. Die Mehrwertsteuer kann viel erreichen, wenn sie richtig eingesetzt wird. Deshalb beschäftigen wir uns in diesem Jahr systematisch mit ihren Möglichkeiten. Und sagen natürlich: Happy Birthday, Mehrwertsteuer!