Fürs Klima: Keine Kohle!
Christiane Weihe
Ein Vorbild wollte Deutschland sein: Erfinder der Energiewende, Motor der erneuerbaren Energien, Pionier ambitionierter Klimaschutzziele. Doch nun droht die Bundesrepublik ihre selbst gesteckten Minderungsziele für 2020 zu verfehlen – nicht nur ein bisschen, sondern deutlich: Um 40 Prozent sollten die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 bis dahin reduziert werden, lediglich gut 30 Prozent erwarten hingegen aktuelle Schätzungen des Öko-Instituts. Einen wesentlichen Anteil an dieser Klimalücke hat der Energieträger Kohle; 76 Prozent der CO2-Emissionen des deutschen Stromsektors stammen aus Braun- und Steinkohlekraftwerken. Der Stromsektor wiederum ist für knapp 40 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Für einen wirksamen Klimaschutz und das Erreichen ambitionierter Klimaziele führt am Kohleausstieg daher kein Weg vorbei. Für einige Regionen ist damit ein umfassender Strukturwandel verbunden, der schon heute auf den Weg gebracht werden muss.
„Der Anteil an erneuerbaren Energien ist hierzulande deutlich gestiegen, das hat aber bislang nicht dazu geführt, dass es weniger Strom aus Kohle gibt“, sagt Charlotte Loreck, Senior Researcher am Öko-Institut, „dieser klimaschädliche Strom wird nur inzwischen exportiert – 2017 waren das 54 Terrawattstunden, ein neuer Rekord. Das ist rund neun Prozent der gesamten Bruttostromerzeugung in Deutschland.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts arbeiten in zahlreichen Projekten zum Kohleausstieg. Sie verbessern die Datenlage zum deutschen Kohlesektor und entwerfen Strategien für die Gestaltung des Kohleausstiegs sowie einer alternativen Stromproduktion. Ein wesentlicher Fokus liegt dabei darauf, politische Instrumente zur Initiierung und Begleitung des Kohleausstiegs zu entwickeln. „Es ist schon ziemlich peinlich, dass Deutschland seine 2020er-Klimaziele so deutlich verfehlen wird – gleichzeitig ist das internationale Ansehen in dieser Frage ein Hebel, die Verantwortlichen endlich zum Handeln zu bewegen“, sagt Loreck, „natürlich wehren sich viele Interessengruppen gegen den Kohleausstieg. Aber eins sollten inzwischen alle wissen: Es führt kein Weg an ihm vorbei.“
DIE BRAUNKOHLENWIRTSCHAFT
Ihr Kollege Hauke Hermann hat in der Analyse „Die deutsche Braunkohlenwirtschaft. Historische Entwicklungen, Ressourcen, Technik, wirtschaftliche Strukturen und Umweltauswirkungen“ den Ist-Zustand der deutschen Braunkohlenwirtschaft dokumentiert. „Es gab bislang nur lückenhafte und unübersichtliche Informationen zu diesem Sektor“, so der Senior Researcher, „mit der Analyse sollte eine Grundlage für die notwendigen Diskussionen zum Kohleausstieg gelegt werden.“ Im Auftrag von Agora Energiewende und der European Climate Foundation hat das Öko-Institut daher Daten und Fakten zur Geschichte der Braunkohleförderung und -verstromung sowie zur Zahl der Beschäftigen in der Braunkohlenwirtschaft ebenso aufbereitet wie zur CO2-Bilanz der Braunkohlekraftwerke und zu weiteren ökologischen Aspekten. So ist Braunkohle der klimaschädlichste Energieträger – sie ist für knapp 19 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich sowie für etwa ein Drittel der Schwefeldioxid- und rund die Hälfte der Quecksilber-Emissionen. Der Umbau der Braunkohlewirtschaft hat eine Schlüsselrolle für die Energiewende; sie verursacht mehr CO2-Emissionen als der gesamte Straßenverkehr. „Darüber hinaus haben wir uns ausführlich mit der wirtschaftlichen Situation der Braunkohlenwirtschaft befasst“, sagt Hermann, „dabei zeigte sich, dass sie früher ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Deutschland war, heute aber nur noch regionalwirtschaftliche Relevanz hat.“ In den Tagebauen, Veredelungsbetrieben und öffentlichen Kraftwerken sind 18.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie 1.000 Auszubildende beschäftigt. Dazu kommen indirekt abhängige Beschäftigte. „Diese Arbeitsplätze sind ein wichtiger Faktor, sie machen einen schrittweisen Ausstieg aus der Stromerzeugung aus Kohle notwendig.“ 50 Prozent der direkt in der Braunkohleindustrie Beschäftigten sind zudem aktuell älter als 50 Jahre. „Maßnahmen, die den wirtschaftlichen Strukturwandel flankieren, können sich daher mittelfristig darauf konzentrieren, Branchen mit neuen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen für die jüngeren Generationen zu unterstützen.“ Mit Blick auf finanzielle Aspekte betont der Wissenschaftler außerdem: „Es lohnt sich nicht mehr, in ältere Braunkohlekraftwerke zu investieren – es ist wirtschaftlicher, Kraftwerke und Tagebaue stillzulegen, wenn größere Investitionen etwa in eine Tagebauerweiterung anstehen. Und auch die Investitionskosten für neuere Kraftwerke können heute nicht mehr refinanziert werden.“
INSTRUMENTE FÜR DEN AUSSTIEG
Welche Instrumente den notwendigen Ausstieg initiieren und begleiten können, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts unter anderem in zwei Studien für den WWF Deutschland untersucht. In der Analyse „Zukunft Stromsystem. Kohleausstieg 2035“ widmeten sie sich gemeinsam mit Prognos unterschiedlichen Optionen für einen Abschied von der Kohlestromerzeugung bis 2035. „Ausgangspunkt war eine Analyse des Weltklimarats, laut der weltweit ab 2015 nur noch rund 890 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen ausgestoßen werden dürfen, wenn die Erderwärmung auf unter zwei Grad begrenzt werden soll“, erklärt Charlotte Loreck, „bei einer fairen Verteilung hätte Deutschland dann nach unseren Berechnungen noch ein Emissionsbudget von maximal zehn Milliarden Tonnen und der Stromsektor wiederum von rund vier Milliarden Tonnen CO2.“ Um diese Obergrenze einzuhalten, ist ein beschleunigter Kohleausstieg unabdingbar. „Möglich wird er durch eine Treibhausgas-Obergrenze ab einem bestimmten Alter der Anlagen – ab dem 21. Betriebsjahr dürften sie maximal 3,35 Tonnen CO2 je Kilowatt Kraftwerksleistung freisetzen – sowie einen gesteuerten Abbau der Kapazitäten von Kohlekraftwerken“, sagt die Wissenschaftlerin vom Öko-Institut, „ab 2019 müssten dann alle Kohlekraftwerke stillgelegt werden, die länger als 30 Jahre betrieben werden.“ Dies könne vertraglich vereinbart, ordnungsrechtlich vorgegeben oder über zusätzliche CO2-Emissionskosten ermöglicht werden. „Die Stromversorgung kann durch einen schnelleren Ausbau der regenerativen Energien und in einem Übergangszeitraum durch Erdgaskraftwerke gedeckt werden“, sagt Loreck. So könne auch die Braunkohleförderung stark reduziert werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen in ihrer Analyse zudem die Notwendigkeit von Investitionen in den Strukturwandel jener Regionen, in denen Braunkohletagebaue und Kohlekraftwerke betrieben werden. „In manchen Regionen ist die Kohlewirtschaft heute der Hauptarbeitgeber – hier muss etwas für die nächsten Generationen getan werden“, fordert die Expertin.
In einer Aktualisierung der Studie „Den europäischen Emissionshandel flankieren – Chancen und Grenzen unilateraler CO2-Mindestpreise“ für den WWF untersuchte das Öko-Institut ein weiteres Instrument für den Kohleausstieg: den CO2-Mindestpreis. „Wir haben analysiert, wie das 2020er-Klimaziel doch noch erreicht werden könnte und dafür die Wirkungen von Anlagen-Stilllegungen und eines Mindestpreises verglichen“, so Charlotte Loreck, „dabei haben wir verschiedene Optionen berechnet – so die Wirkung unterschiedlicher Mindestpreise je Tonne CO2 in Deutschland sowie der Einführung eines CO2-Mindestpreises in insgesamt sieben EU-Staaten.“ Darüber hinaus wurde das Potenzial zusätzlicher Kraftwerksstilllegungen berechnet.
Will Deutschland seine CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent reduzieren, muss der Stromsektor seine Emissionen auf 250 bis 200 Millionen Tonnen CO2 vermindern. „Wenn allerdings der Stromsektor seine Emissionen nur auf 250 Millionen Tonnen CO2 reduziert, müssen andere Sektoren wie der Verkehr oder der Gebäudebereich 50 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich einsparen – das ist aus unserer Sicht bis 2020 nicht zu schaffen“, sagt die Wissenschaftlerin vom Öko-Institut, „wir empfehlen daher eine Kombination aus einem ausreichend hohen CO2-Mindestpreis von 30 Euro sowie zusätzlich die Stilllegung von sieben Gigawatt in Kohlekraftwerkskapazitäten.“ Darüber hinaus plädieren die Expertinnen und Experten für eine Umsetzung von Regelungen zum Kohleausstieg in mehreren europäischen Staaten – „So sinkt die Gefahr, dass Emissionen einfach verschoben werden“ – und fordern Maßnahmen, die langfristig wirksam sind: „Es braucht klare Regeln, die nicht nur bis 2020, sondern weit darüber hinaus weisen – dazu gehören zum Beispiel ein CO2-Mindestpreis oder eine klare Festlegung, dass Kohlekraftwerke nach 30 Jahren Laufzeit abgeschaltet werden.“
DER KLIMABEITRAG
Ein weiteres, besonders wirkungsvolles Instrument könnte auch der so genannte nationale Klimabeitrag sein, den das Bundeswirtschaftsministerium bereits 2015 vorgeschlagen hat und der auf Berechnungen des Öko-Instituts und von Prognos beruht. „Dieses Konzept sah vor, dass jeder Kraftwerksblock in Deutschland einen brennstoffneutralen Emissionsfreibetrag erhält, der sich nach dem Anlagenalter richtet und so CO2-Minderungen vor allem bei emissionsintensiven, älteren Kraftwerken notwendig macht“, erklärt Hauke Hermann. Ein Klimabeitrag fällt dann nur für die Emissionen an, die über den Freibetrag hinausgehen, er besteht in der Abgabe von zusätzlichen Emissionszertifikaten. „Einem solchen Instrument könnte es gelingen, mehreren zentralen Herausforderungen des Kohleausstiegs gleichzeitig zu begegnen – die Versorgungssicherheit wird nicht gefährdet, die Auswirkungen auf den Strompreis wären sehr gering, die Betreiber behalten ihre Flexibilität und nicht zuletzt: die Treibhausgasemissionen sinken“, sagt Charlotte Loreck. Doch egal, welches Instrument man wählt: Nur wenn die alten Kohlekraftwerke schnell aus der täglichen Stromproduktion verschwinden, kann Deutschland beim Klimaschutz wieder auf den richtigen Weg kommen – und wenigstens seine langfristigen Klimaziele noch erreichen.