„Wir brauchen einen Öl- und Gaskonsens“
Christiane Weihe
Verkehr und Klimaschutz? Zwei Begriffe, die man kaum in einem Atemzug nennen möchte. Denn obwohl der Verkehr zur Erreichung der deutschen Klimaziele bis zur Mitte des Jahrhunderts nahezu vollständig dekarbonisiert werden müsste, liegen seine Emissionen heute etwa auf dem Niveau von 1990. Wie kann eine Trendwende gelingen? Darüber haben wir mit Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende gesprochen. Im Interview mit eco@work erklärt das ehemalige Mitglied der Geschäftsführung des Öko-Instituts, welche Möglichkeiten er für den Ausstieg aus fossilen Energien im Verkehrssektor sieht, aber auch, welche Veränderungen auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zukommen.
Herr Hochfeld, wie kann der Verkehrssektor endlich zum Klimaschutz beitragen?
Wir brauchen eine Mobilitätswende und eine Energiewende im Verkehr. Mobilitätswende bedeutet, mit Hilfe der Digitalisierung unnötigen Verkehr zu vermeiden, den notwendigen Verkehr auf umweltfreundliche Verkehrsmittel zu verlagern und die Effizienz des gesamten Systems zu erhöhen, ohne dabei die Mobilität einzuschränken. Aber auch ein multimodales Verkehrsverhalten, vor allem in den Städten, gehört dazu. Um die dann verbleibenden Emissionen zu vermeiden, ist eine Energiewende notwendig. Wir sind heute im Straßenverkehr zu 95 Prozent von fossilen Energien abhängig, die relativ ineffizient in Verbrennungsmotoren genutzt werden. Wir brauchen hier perspektivisch einen Öl- und Gaskonsens, um aus den fossilen Energien auszusteigen, und einen Wandel hin zur Elektromobilität auf Basis erneuerbarer Energien.
Multimodales Verkehrsverhalten – was bedeutet das konkret?
Eine Verbindung des öffentlichen Verkehrs mit aktiver Mobilität. Dazu gehören auch neue Mobilitätsdienstleistungen wie etwa Car- und Bike-Sharing und vor allem Ridepooling, also gemeinsame Fahrten. Die Zahl privater Pkws in den Städten kann damit drastisch reduziert werden.
Wie lässt sich das beeinflussen?
Wir leben heute in autogerechten Städten, die den privaten Pkw-Besitz fördern. Zum einen ist es wichtig, attraktive Angebote zur Verfügung zu stellen, die es ermöglichen, bequem darauf zu verzichten. Gleichzeitig muss die Nutzung des öffentlichen Raums realistisch bepreist werden. Zum Beispiel bei der Parkraumbewirtschaftung: In meiner Straße kostet das Anwohnerparken 20 Euro im Jahr, in der Tiefgarage ein paar Häuser weiter werden hingegen Stellplätze für 40.000 Euro verkauft. Wenn sich die Preise hier angleichen, würden sicher viele Autobesitzer überlegen, den Pkw abzuschaffen.
Und auf dem Land?
Die Menschen werden auf dem Land über die nächsten 20 Jahre sicher weiter auf den privaten Pkw setzen müssen, auch wenn sich durchaus flexiblere Angebote schaffen lassen, etwa durch die Nutzung digitaler Technologien. Grundsätzlich setzen wir hier aber mehr auf eine klimaneutrale Mobilität durch erneuerbar betriebene Elektroautos.
Welche Erwartungen haben Sie an die Autoindustrie?
Das Geschäftsmodell der Autoindustrie ändert sich gerade grundsätzlich. Sie war weit über hundert Jahre lang geprägt von privat genutzten Verbrennungsmotoren. In Zukunft werden aber vor allem jene Unternehmen erfolgreich bleiben, die ihr Geschäftsmodell anpassen und sich zu Mobilitätsdienstleistern weiterentwickeln. Schon heute drängen Wettbewerber aus anderen Industrien auf den Markt. Die Frage ist, ob sich die Automobilunternehmen jetzt schnell genug bewegen – sie standen ja sehr lange auf der Bremse. Aber auch die Politik ist gefragt, endlich Tempo bei der Transformation aufzunehmen.
Inwiefern?
Der Strukturwandel im Verkehrssektor kommt auf jeden Fall, denn er ist marktgetrieben. Entscheidend ist, wie gut wir uns darauf vorbereiten. Es muss frühzeitig einen Diskurs darüber geben, der viele Fragen behandelt: Wie können sich Produkte und Dienstleistungen verändern? Wie ist dieser Strukturwandel zu gestalten? Welche Rahmenbedingungen brauchen neue Mobilitätsdienstleistungen? Wie lässt sich die Transformation sozialpolitisch begleiten? Deutschland muss seine Politik dem Strukturwandel anpassen, sonst drohen negative Konsequenzen für die Unternehmen, den Standort und nicht zuletzt das Klima.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.