Wer hat Angst vor Suffizienz?
Nachhaltig produzieren und konsumieren – wie geht das? Bei dieser Frage stehen Realpolitik und Grundsatzdenken oft merkwürdig unverbunden nebeneinander. Auf der einen Seite gibt es einen breiten, eher abstrakten Konsens darüber, dass neben Effizienz und Kreislaufwirtschaft (Konsistenz) auch ein Weniger an Konsum und Produktion nötig ist (Suffizienz). In der Umfrage „Umweltbewusstsein in Deutschland 2014“ stimmten 64 Prozent der Befragten der folgenden Aussage zu: „Die Umwelt kann nur gerettet werden, wenn wir alle weniger konsumieren.“ Titel wie „The logic of sufficiency“, „Wohlstand ohne Wachstum” oder „Damit gutes Leben einfacher wird“ erhalten bei Amazon vier Sterne. Der Wachstumskritiker Niko Paech ist eine Art Popstar. Auch das Eigenprojekt des Öko-Instituts „Suffizienz im Alltagsleben“ trug uns in kurzer Zeit zahlreiche Anfragen für Vorträge und für Beiträge in populären Publikationen ein.
In der harten Realpolitik jedoch ist jede Andeutung eines möglichen Weniger undenkbar. Produktpolitiken wie Ökodesign oder Energiekennzeichnung fokussieren ausschließlich auf Effizienz. Alles, was Energie teurer machen (und damit vielleicht den Konsum drosseln) könnte, ist brandgefährlich; mit „Strompreisbremsen“ hingegen sichert man sich Applaus.
Symptomatisch waren die Reaktionen bei einem Vortrag über „Energie und Lebensstil“, den ich im Frühjahr halten durfte. Die Fragen zeugten von Betroffenheit: Seien unsere energieintensiven Konsummuster wirklich weiter tragbar? Müsse man nicht viel härter durchgreifen? Im Anschluss stellte ich ein denkbares Instrument zur Reduktion von Pro-Kopf-Wohnfläche vor, entwickelt im Bereich Energie und Klimaschutz des Öko-Instituts: Eine Kombination von gezielter Beratung und Förderprogrammen soll älteren Menschen eine Teilung großer Eigenheime oder einen Umzug in eine kleinere Wohnung erleichtern. Die wichtige Frage natürlich: Wer soll das bezahlen? Als ich die Idee höherer Energiesteuern ins Spiel brachte, ging ein hörbares Raunen durch das Publikum.
In verschiedenen Projekten und Konstellationen haben wir uns in der letzten Zeit mit der Frage befasst, wie Suffizienz und Realpolitik zueinander finden können. Grundgedanke ist die Idee der sozialen Transformation: Immer wieder gab es in Gesellschaften grundlegende Wandel von Technologien, sozialen Praktiken und gesellschaftlichen Normen, die einmal undenkbar schienen. Die digitale Revolution etwa war so wenig vorstellbar, dass Thomas Watson, CEO von IBM, 1943 glaubte, „dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt“ und Ian Sharp, Sharp-Gesellschafter, noch 1979 befand: „E-Mail ist ein Produkt, das sich einfach nicht verkaufen lässt.“
Ein Wandel zu suffizienteren Konsumstilen, sozusagen die individuelle Seite einer Postwachstumswirtschaft, wäre zweifellos eine große Transformation. Damit sie sich ereignen kann, müssen viele Elemente zusammenspielen: Veränderte Normen, Praktiken und Lebensrhythmen, neue Produkte und Geschäftsmodelle, wissenschaftliche Erkenntnisse, soziale Institutionen – ja, und politische Instrumente. Politik kann und muss, andockend an realpolitische Debatten und Gelegenheiten, ihren Beitrag zur Transformation leisten. Bausteine dazu erarbeiten wir am Öko-Institut bereichsübergreifend. In einem Projekt für das Bundesumweltministerium und das Umweltbundesamt empfehlen wir Instrumente, die den absoluten Energieverbrauch in Haushalten drosseln sollen – darunter den beschriebenen Ansatz zum Wohnflächensparen. Für das Bundeswirtschaftsministerium denken wir über „nutzungsadäquate“ Produktgestaltung nach – eine Chiffre dafür, Überdimensionierung zu vermeiden. Im Anschluss an das Projekt „Suffizienz im Alltagsleben“ fand ein Workshop mit Mitgliedern des Bundestags zu Ansätzen von Suffizienzpolitik statt.
Für unsere zukünftige Arbeit wünsche ich mir noch viel mehr institutsinterne Zusammenarbeit. Auch Kohleabgaben oder Energiesteuern sind ja zum Beispiel wichtige Bausteine einer Suffizienzpolitik. Und ich wünsche uns den Mut, diese heißen Eisen aus dem Bereich der Grundsatzdebatten in den der Realpolitik zu übersetzen und damit unseren kleinen Beitrag zur Transformation zu leisten. Corinna Fischer