Die Klimaschutzlücke 2020
Christiane Weihe
2020 steht für ein wichtiges Etappenziel beim Klimaschutz. Bis zu diesem Jahr sollen bereits deutliche Emissionsminderungen erreicht sein: Um 40 Prozent wollte Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis dahin im Vergleich zu 1990 reduzieren. Doch die Bundesrepublik verfehlt ihre Klimaziele – und zwar nicht nur knapp, sondern um bis zu sieben Prozent. Auch das 2014 aufgelegte Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 kann die Klimaschutzlücke nicht schließen. Welche Ursachen sie hat und welche Maßnahmen notwendig sind, um zukünftige Klimaziele zu erreichen, zu diesen Fragen arbeitet das Öko-Institut in unterschiedlichen Projekten.
„Wie groß die Klimaschutzlücke tatsächlich sein wird, können wir voraussichtlich erst im Frühjahr 2021 beantworten“, sagt Dr. Ralph O. Harthan vom Öko-Institut, „verschiedene Faktoren können noch dafür sorgen, dass die Emissionen etwas stärker sinken als gedacht.“ Dazu gehören zum Beispiel die Kosten, die im Rahmen des EU-Emissionshandels für den Ausstoß einer Tonne CO2 entstehen. „Der Preis schwankt sehr stark, er lag zum Beispiel Mitte Juli 2018 bei ungefähr 16 Euro, im Juli 2019 aber schon bei 29 Euro“, erklärt der Senior Researcher aus dem Bereich Energie & Klimaschutz, „wenn der Preis für CO2-Emissionen hoch ist, wird die Stromerzeugung aus Braunkohle teurer. Sinkt gleichzeitig der Erdgaspreis, hat das Auswirkungen auf den Strommix – und damit auch auf die Treibhausgasemissionen.“ Die Größe der Klimaschutzlücke hängt aber auch von der Witterung ab. „Bei einem warmen Winter kommen wir den Klimaschutzzielen ein kleines Stück näher. Aber mehr als ein bis zwei Prozent Schwankung sollte es aus meiner Sicht nicht ausmachen. In einem besonders kalten Winter kann auch der umgekehrte Effekt auftreten. Auch die wirtschaftliche Entwicklung wirkt sich auf die Emissionen aus.“
Projektionsberichte, die das Öko-Institut bereits seit mehr als 20 Jahren regelmäßig für das Umweltbundesamt erstellt, schätzen ab, welche Wirkungen die bisherigen Anstrengungen zum Klimaschutz bis 2020 und darüber hinaus haben und ob sie ausreichen, um das selbst gesteckte Klimaziel einer Emissionsminderung um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu erreichen. Für den Projektionsbericht 2019 haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Projekt „Politikszenarien IX“ dies gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), dem Institut für Ressourceneffizienz und Energiestrategien (IREES) sowie dem Thünen-Institut errechnet. „Im sogenannten Mit-Maßnahmen-Szenario, kurz MMS, das projiziert, welche Wirkung alle bereits beschlossenen Maßnahmen haben, zeigt sich bis 2020 eine Minderung um 33,2 Prozent im Vergleich zu 1990, bis 2030 werden 41,7 und bis 2035 insgesamt 44,3 Prozent weniger Treibhausgasemissionen erwartet“, so Harthan. Nicht berücksichtigt werden dabei Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft sowie der internationale Luft- und Seeverkehr. Ende 2019 scheint das 40-Prozent-Ziel wieder erreichbarer. Grund dafür sind aktuelle Entwicklungen wie der Rückgang der Emissionen aus der Stromerzeugung aufgrund von sehr niedrigen Gaspreisen, hohen Preisen für CO2-Zertifikate und einer guten Windsituation. Das Blatt kann sich aber schnell wieder drehen, weniger Wind und ein kalter Winter können die Emisisonen wieder in die Höhe treiben.
Vielfältige Ursachen – vielfältige Maßnahmen
Die Ursachen für das Verfehlen der Klimaziele sind aus Sicht des Experten vom Öko-Institut vielfältig und in allen Sektoren zu suchen. „Da haben wir zum Beispiel den Verkehr, bei dem für 2020 sogar ein Anstieg der Emissionen im Vergleich zu 1990 erwartet wird“, sagt er, „aber auch der Gebäudesektor ist ein Sorgenkind, bei dem über viele Jahre nicht genug passiert ist.“ (Zu Ursachen für mangelnden Klimaschutz in unterschiedlichen Sektoren siehe ausführlich Artikel „Klimaziele 2030 – auf dem richtigen Weg?“ ab Seite 10.)
Schon vor einigen Jahren zeichnete sich ab, dass Deutschland seine Klimaziele 2020 mit den bestehenden Maßnahmen nicht erreichen wird. Daher beschloss die Bundesregierung im Dezember 2014 das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 mit rund 110 Maßnahmen aus allen Sektoren und Handlungsfeldern – von der Energiewirtschaft über die Industrie bis hin zu privaten Haushalten, dem Verkehr und der Landwirtschaft. Mit ihnen sollten weitere Emissionsminderungen um 62 bis 78 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) im Vergleich zu 1990 erreicht werden.
Seit 2016 hat das Öko-Institut die Wirksamkeit des Aktionsprogramms regelmäßig auf den Prüfstand gestellt, so auch im dritten Quantifizierungsbericht für das Jahr 2018, der gemeinsam mit dem Fraunhofer ISI für das Bundesumweltministerium erstellt wurde. „Jede Maßnahme wird darin kurz beschrieben, der Umsetzungsstand wird erläutert und die Maßnahme bewertet“, erklärt Dr. Ralph O. Harthan. Zu den betrachteten Maßnahmen gehören wettbewerbliche Ausschreibungen für Energieeffizienz, eine Kaufprämie für Elektrofahrzeuge und ein Heizungsoptimierungsprogramm ebenso wie die Stärkung der Kraft-Wärme-Kopplung, eine Initiative zur weiteren Verbreitung von LEDs, eine Weiterentwicklung der Lkw-Maut und die Nutzung von Abwärme in der Industrie. „Der Beitrag, den jede einzelne Maßnahme zu den Klimazielen leisten kann, ist natürlich sehr unterschiedlich. So liegt das Minderungspotenzial bei einem Programm zur verbesserten Effizienz von Heizanlagen bei 0,12 bis 0,22 Millionen Tonnen CO2e. Durch eine Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung können 3 bis 4 Millionen Tonnen CO2e und durch unternehmerische Effizienznetzwerke mit klaren Effizienzzielen zwischen 2,73 und 3,89 Millionen Tonnen CO2e erreicht werden.“
Sein Ziel, die Klimaschutzlücke zu schließen, wird das Aktionsprogramm jedoch verfehlen. Der Experte vom Öko-Institut erwartet im besten Fall eine Minderung um 41,6 bis maximal 53,6 Millionen Tonnen CO2e. Um die Maßnahmen in Zukunft noch schlagkräftiger zu gestalten, ist es aus seiner Sicht sinnvoll, die Instrumente nicht nur kontinuierlich zu quantifizieren, sondern auch nachzuschärfen, wenn sie nicht die anvisierte Emissionsminderung erreichen. „Dabei müssen natürlich nicht nur die Maßnahmen selbst im Auge behalten werden, sondern auch die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie sich entwickeln. Dazu gehört etwa, wie sich die Wirtschaft entwickelt, ob die Verkehrsnachfrage steigt und auf welchem Niveau die Brennstoffpreise liegen“, sagt Harthan. „Aus den Rahmenbedingungen und den bisherigen Erfolgen oder Misserfolgen kann und sollte man kontinuierlich Rückschlüsse für zukünftige Klimaschutzmaßnahmen ziehen – seien sie auf einzelne Branchen ausgerichtet oder sektorübergreifend.“ Für den Senior Researcher ein wesentlicher Schritt für wirksamen Klimaschutz – ebenso wie ein entschlossenes und zügiges Handeln. „Die Zeit des Abwartens und Zögerns muss endgültig vorbei sein.“ Denn das nächste Etappenziel steht schon vor der Tür: 2030.