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Im Fokus

„Die langfristigen Wirkungen von Lärm müssen erforscht werden“

Im Interview: Dr. Irene van Kamp (RIVM)

Christiane Weihe

Eine Studie, über ein ganzes Leben hinweg? Die Psychologin Dr. Irene van Kamp strebt langfristige Analysen an. Sie forscht bereits seit vielen Jahren zur Lärmwirkung, derzeit am RIVM, dem Nationalen Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt der Niederlande in Bilthoven. Neben der konkreten Forschungsarbeit ist die Lärmexpertin für unterschiedliche nationale, europäische und internationale Organisationen und Projekte tätig. So war sie Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat Qualitätssicherung (WBQS) der NORAH-Studie und unterstützt die Weltgesundheitsorganisationen WHO bei der Entwicklung aktualisierter Guidelines für Umgebungslärm.

Dr. van Kamp, was muss im Bereich der Lärmwirkung dringend noch erforscht werden?

Die langfristige Auswirkung von Lärm, über ein ganzes Leben hinweg, beginnend im pränatalen Stadium. Wir wissen, dass Kinder, die in der Nähe eines Flughafens wohnen, ein höheres Risiko kognitiver Auswirkungen oder von Schlafstörungen haben. Wie wird sich ihre Gesundheit weiterentwickeln – etwa mit Blick auf Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder chronische Schlafstörungen? Oder Menschen mit einer Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Lärm hat einen Einfluss auf sie, so viel ist klar, aber um genau herauszufinden, welchen, müssten wir sie länger beobachten. Die technischen Möglichkeiten, die es inzwischen gibt, könnten solche Studien sehr vereinfachen. Leider ist es sehr schwer, dafür Fördergelder zu erhalten.

Worauf führen Sie das zurück?

Ich denke, es hat etwas damit zu tun, dass Lärm nicht immer als Gesundheitsthema anerkannt wird. Und trotz der bestehenden EU-Richtlinien unterscheidet sich die Politik in Bezug auf Verkehrslärm oder zum Beispiel den Lärm von Windturbinen stark zwischen Ländern und auch Regionen.

Warum ist das Thema Lärm für die Forschung so herausfordernd?

Anders als etwa bei konkreter Umweltverschmutzung gibt es hier keinen direkten Effekt, ausgenommen Hörschäden bei wirklich massivem Lärm. Es ist ein etwas schwammiges Thema, das auch viel mit persönlicher Wahrnehmung zu tun hat. Und die lässt sich leider leicht abwerten.

Für die WHO haben Sie viele Studien anderer Experten zum Thema Lärm analysiert.

Das stimmt. Die WHO arbeitet noch bis 2017 an der Überarbeitung ihrer Leitlinien zum Thema Lärm, genauer gesagt an Umgebungslärm-Guidelines für Europa. Dabei wird ein Dokument von 1999 mit neuen Erkenntnissen der Lärmforschung aktualisiert. Zwei Gruppen sind involviert: Die erste, zu der ich gehöre, hat Studien zu den unterschiedlichen Facetten von Lärm analysiert, von ihren Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten und das gesundheitliche Wohlbefinden bis hin zum Lärmschutz. Die zweite Gruppe prüft unsere Erkenntnisse und erstellt daraus die aktualisierten Guidelines.

Welches Thema haben Sie bearbeitet?

Gemeinsam mit Professor Lex Brown aus Australien habe ich mich der Frage gewidmet, wie wirksam Maßnahmen zum Lärmschutz sind. Wir haben etwa 40 Studien dazu analysiert, die nach sehr klaren Qualitätskriterien ausgewählt wurden. Im Vergleich war das recht wenig: Die Kollegen, die sich mit den Effekten auf das Herz-Kreislauf-System befasst haben, hatten mit hunderten Studien zu tun.

Können Sie erste Erkenntnisse mit uns teilen?

Die Studien untersuchen unterschiedliche Maßnahmenarten: Lärmschutz kann zum Beispiel direkt an der Quelle ansetzen – etwa durch den Austausch von veralteten Bahngleisen – oder auch an den Häusern, in denen die Menschen wohnen, siehe eine bessere Dämmung. Beim Lärmschutz ist eine Kombination von Maßnahmen der interessanteste und wahrscheinlich effektivste Ansatz.

Auch bei der NORAH-Studie waren sie beratend tätig.

Ja, hier kam meine Expertise mit Blick auf die Lärmwirkung auf Kinder zum Tragen. Der Wissenschaftliche Beirat Qualitätssicherung, kurz WBQS, zu dem ich gehörte, hat das Projektteam fachlich beraten und die unterschiedlichen Berichte vor Veröffentlichung geprüft. Besonders in einer Sache hat mich das Projekt übrigens sehr beeindruckt: Ich habe vorher noch nie so intensive und gute Diskussionen zum Thema Lärm mit so vielfältigen Experten erlebt wie hier.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christiane Weihe.