Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Christiane Weihe
Die Nutzungsdauer von Elektro- und Elektronikgeräten verkürzt sich, das zeigt die aktuelle Obsoleszenz-Studie des Öko-Instituts ebenso wie die problematischen Folgen für Menschen und Umwelt. Doch wer muss etwas dagegen unternehmen? Die Politik – durch Mindestanforderungen an Geräte? Die Hersteller – mit hochwertigen und langlebigen Produkten? Die Verbraucher – indem sie keinen Billigschrott kaufen, der nach kurzer Zeit kaputt geht? Die Studie zeigt: Alle drei. Öko-Institut und Universität Bonn haben für das Umweltbundesamt Strategien entworfen, wie die Lebens- und Nutzungsdauer der Geräte verlängert werden kann.
Für Siddharth Prakash, Projektleiter der Obsoleszenz-Studie, müssen Strategien für eine Verlängerung der Lebens- und Nutzungsdauer der Geräte auf vielen Ebenen ansetzen. „Zum einen muss natürlich die Politik die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize für eine längere Nutzung der Produkte schaffen“, sagt er. Zentral sind nach Ansicht des Experten dabei Mindestanforderungen an Qualität und Haltbarkeit der Geräte, ihrer kritischen Komponenten und Bauteile. „Man muss den Markt quasi am unteren Ende abschneiden und damit verhindern, dass qualitativ minderwertige Geräte überhaupt in den Handel kommen“, so Prakash, „durch die Anforderungen an Qualität und Haltbarkeit sollen sich Verbraucher auf eine Mindestlebensdauer von Produkten und Komponenten verlassen können – ein Zeitraum, in dem die Produkte gar nicht oder nur in seltensten Fällen repariert werden müssen.“ Für die praktische Umsetzung bedeutet dies: Die Entwicklung von Standards und Normen für die Messung und Prüfung der Haltbarkeit sowie Lebensdauer von Geräten und Bauteilen muss vorangetrieben werden. „Zwar gibt es bereits etliche Standards und Normen für die verwendeten Bauteile zur Prüfung der Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Geräten. Es fehlen allerdings lebensdauerbezogene Prüfungen für Produkte“, sagt der Experte.
MEHR TRANSPARENZ
Die Entwicklung solcher Standards und Normen ist jedoch sehr komplex und erfordert viel Zeit. „Es wäre daher sinnvoll, sie zunächst für die verschleißanfälligen Komponenten und Bauteile zu entwickeln“, so Prakash. Wichtig sei allerdings, dass die Auslegung der Geräte mit den realistischen Randbedingungen ihres Einsatzes konform ist. Gibt es hier Abweichungen, kann es leicht zu einer Überbelastung kommen und damit zu einem verfrühten Ausfall. „Wir dürfen zudem nicht vergessen, dass sich die Lebensdauer nicht für jede Produktgruppe verlässlich in einem adäquaten Zeitrahmen messen und prüfen lässt“, stellt der Wissenschaftler fest, „wenn man zum Beispiel die siebenjährige Nutzung eines Fernsehers simulieren will, muss dieser laut Stiftung Warentest im Labor etwa anderthalb Jahre laufen. Produkte mit kurzen Innovationszyklen sind nach so einem Test gar nicht mehr auf dem Markt.“ Erste Ansatzpunkte bieten deshalb die bestehenden Sicherheitsnormen von Bauteilen und Komponenten. „Dafür müsste aber zunächst geprüft werden, wie sich diese auf Lebensdauer- und Haltbarkeitsprüfungen ausweiten lassen“, so Prakash, „die genannten Mindestanforderungen an Qualität und Haltbarkeit von kritischen Bauteilen und Komponenten könnten dann im Rahmen der EU-Ökodesign-Richtlinie umgesetzt werden.“
Darüber hinaus empfehlen die Autoren der Studie, höhere Informationspflichten für Hersteller zu etablieren. „Die Konsumenten sollten unter anderem wissen, welche Sollbruchstellen im Sinne einer Sicherheitsfunktion und welche Verschleißteile vorhanden sind, unter welchen Bedingungen diese ausfallen und welche Wartungsintervalle in der Regel zu erwarten sind“, erklärt der Projektleiter vom Öko-Institut. Zudem sollten die Hersteller Einschränkungen der Benutzung, wie etwa den Kurzzeitbetrieb bei Handmixern, eindeutig deklarieren.
Auch mit einer softwarebedingten Verkürzung der Lebensdauer etwa von Notebooks und Druckern befasst sich die Obsoleszenz-Studie. „Es darf nicht sein, dass ein voll funktionsfähiges Gerät entsorgt oder ersetzt werden muss, nur weil die neueste Software nicht mehr darauf läuft“, sagt der Experte, „es braucht verpflichtende Mindestanforderungen an die Software wie etwa eine ausreichend lange Verfügbarkeit von grundlegenden Software-Treibern sowie verpflichtende Hardware- und Software-Updates.“ Sinnvoll sei es unter anderem auch, freie Soft- und Hardware-Initiativen wie Open-Source-Betriebssysteme zu fördern. In einer aktuellen Studie für das Umweltbundesamt befassen sich die Experten des Öko-Instituts derzeit bereits mit nachhaltiger Software.
ZUR REPARATUR!
Eine wichtige Empfehlung der Experten bezieht sich zudem auf eine erhöhte Reparierbarkeit von Elektro- und Elektronikgeräten – auch wenn diese grundsätzlich für eine Mindestdauer natürlich fehlerfrei bleiben sollten. Die Obsoleszenz-Studie betont, dass freie und nicht herstellergebundene Reparaturwerkstätten Zugang zu ausführlichen Reparaturanleitungen und Ersatzteilen sowie Werkzeugen und Diagnose-Tools haben sollen, um einen fairen Wettbewerb im Reparatursektor aufrechtzuerhalten. „Klare Mindestvorgaben für die Vorhaltung von Ersatzteilen und Werkzeugen sowie für die Auswechselbarkeit oder Reparierbarkeit von Verschleißteilen wie Akkus sind notwendig“, fordert der Wissenschaftler.
Sinnvoll könnten darüber hinaus neue Servicemodelle von Produzenten sein. „Hier gibt es viele Ansätze, so zum Beispiel Leasing-Modelle, Nachsorgebehandlungen oder auch Rückkaufvereinbarungen, bei denen das Gerät von den Händlern oder Herstellern für eine Aufbereitung zur Wiederverwendung eingesammelt wird“, sagt Prakash, „solche Ideen müssen auf ihre Wirksamkeit geprüft und mit den Produzenten und Verkäufern diskutiert werden.“ Dabei sollen die Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass eine möglichst lange Nutzung stattfindet. „Denkbar wäre eine Förderung von Re-Use und des Gebrauchtgerätemarktes mit der Etablierung einer Dachmarke für die Qualität, um die Attraktivität des Second-Hand-Marktes für Elektro- und Elektronikgeräte zu erhöhen“, erklärt Prakash.
UND DIE VERBRAUCHER?
Neben Politik und Herstellern sehen die Experten auch den Konsumenten in der Pflicht. „Die Obsoleszenz-Studie zeigt: Viele Verbraucher kaufen sich aus Lifestyle-Gründen neue Geräte“, sagt Prakash, „doch sie sollten sich zum Beispiel fragen: Brauche ich wirklich alle zwei Jahre oder sogar jedes Jahr, wie es manche Mobilfunkunternehmen anbieten, ein neues Smartphone?“ Hier brauche es ein Umdenken der Konsumenten hin zu einem nachhaltigeren Verhalten, zu einer möglichst langen Nutzung von Elektro- und Elektronikgeräten – aus sozialen ebenso wie aus ökologischen Gründen.
Strategien gegen Obsoleszenz aber brauchen Zeit, sie lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur im Zusammenspiel von Politik, Herstellern und Verbrauchern zu lösen ist“, sagt der Wissenschaftler. Und setzt nach einer kurzen Pause noch hinzu: „Wir brauchen einen konstruktiven Dialog und keine Verschwörungstheorien.“ Christiane Weihe