Vielfältige soziale Effekte
Christiane Weihe
Die Luft wird besser. Das Essen gesünder. Und der Arbeitsplatz zukunftsfähig. Oft betonen wir die positiven Effekte eines Wandels in Richtung Nachhaltigkeit. Der Schutz von Klima und biologischer Vielfalt sowie der dafür notwendige Wandel der Produktionsweisen und Konsummuster sind wichtige Schritte für das künftige Wohlergehen der Menschheit. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die durch umweltpolitisch ausgelöste oder verstärkte Veränderungen belastet werden und sich benachteiligt fühlen. Umwelt- und klimapolitische Maßnahmen können viele unterschiedliche soziale Folgen haben – für den Konsum und die Beschäftigung ebenso wie für die gesellschaftliche Teilhabe. Wie diese genau aussehen, damit beschäftigt sich auch das Öko-Institut.
„Es gibt sehr vielfältige und kontroverse Debatten über die sozialen Auswirkungen von Umwelt- und Klimapolitik – etwa mit Blick auf den Verlust von Arbeitsplätzen durch den Kohleausstieg oder die finanzielle Belastung von Haushalten durch höhere Heizkosten und Benzinpreise im Zuge des CO2-Preises. Da ist dann häufig von Ungerechtigkeit die Rede. Die Fridays for Future-Bewegung wiederum fordert unter dem Begriff Klimagerechtigkeit deutlich ambitioniertere Maßnahmen“, sagt Dirk Arne Heyen vom Öko-Institut. „Bevor eine pauschale Aussage darüber getroffen wird, ob Umweltpolitik gerecht oder ungerecht ist, sollten wir verschiedene soziale Aspekte berücksichtigen.“ Betrachtet werden müsse zum Beispiel, wer Umweltprobleme verursache und wer unter ihnen leide. „Wohlhabendere Länder und Menschen tragen überdurchschnittlich zu den Umweltproblemen bei – etwa, weil sie durch ihren aufwändigeren Lebensstil mehr Energie und natürliche Ressourcen verbrauchen. Und die finanziell schlechter Gestellten wiederum leiden unter den ökologischen Folgen tendenziell mehr, weil sie zum Beispiel auf günstigen Wohnraum angewiesen sind, der auch mal an einer dreispurigen Straße liegen kann, oder in Ländern wohnen, die vom Klimawandel stärker betroffen sind. Das ist unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten natürlich sehr problematisch.“ Ein wichtiger Punkt sei aber auch die Frage, wer von umweltpolitischen Maßnahmen besonders profitiere – etwa von Jobs in neuen Branchen, energieeffizienten Wohnhäusern oder finanziellen Förderungen – und wer nicht, beziehungsweise wem womöglich Nachteile drohen.
Systematische Analysen
Im Rahmen des Projekts „Soziale Aspekte von Umweltpolitik“ für das Umweltbundesamt hat das Öko-Institut in einem ersten Schritt einen ausführlichen Überblick zum aktuellen Forschungsstand über die sozialen Wirkungen umweltpolitischer Maßnahmen hierzulande erstellt. „Besonders viele Studien gibt es zu den Auswirkungen auf die Ausgaben privater Haushalte für Energie und Mobilität“, sagt Dirk Arne Heyen. „Steigende Steuern und Abgaben vor allem auf Strom und Heizungswärme treffen tendenziell einkommensschwache Haushalte stärker, die für diese Grundbedürfnisse einen höheren Anteil ihres Einkommens ausgeben.“ Wichtig sei aber immer, die Effekte in der Summe zu betrachten. „Dass die Energiepreise steigen, muss nicht automatisch zu höheren Belastungen führen – so können hier Energiesparmaßnahmen oder Entlastungen durch eine bestimmte Rückverteilung der staatlichen Einnahmen entgegenwirken.“ Da von vielen umweltschädlichen Subventionen, zum Beispiel der Dienstwagenbesteuerung, derzeit vorwiegend Besserverdienende profitierten, könne deren Reform auch unter sozialen Verteilungsgesichtspunkten positiv wirken.
Auch mit Blick auf die Folgen für die Beschäftigung rät der Experte, stets sehr genau hinzuschauen. „Der Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft wirkt sich natürlich auch auf die Wirtschaft aus – so etwa die Automobilindustrie. Hier werden mittelfristig weniger Arbeitskräfte in der Fahrzeugherstellung von Elektroautos benötigt. Doch gleichzeitig entstehen in anderen Bereichen – etwa in der Energiewirtschaft und bei Mobilitätsdienstleistungen – neue Jobs. Die können natürlich aber auch in anderen Regionen liegen oder andere Qualifikationen erfordern.“
In einem weiteren Projekt für das Umweltbundesamt haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Öko-Instituts unter der Überschrift „Strategien für den ökologischen Strukturwandel in Richtung einer Green Economy“ analysiert, welche Branchen vor einem Wandel stehen, sowie die Automobil- und Chemieindustrie vertieft betrachtet. Sie analysierten Treiber und Herausforderungen und entwickelten Handlungsempfehlungen für die Gestaltung des Strukturwandels. „Will man diesen Wandel erfolgreich gestalten, muss man ihn frühzeitig angehen, statt den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass alles bloß so bleibt, wie es ist“, sagt Dirk Arne Heyen, der das Projekt geleitet hat. Die Politik müsse klare, mittel- und langfristige Ziele formulieren und verlässliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel für die Automobilwirtschaft, schaffen. „Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Betriebsräte müssen sich zudem gemeinsam für die nötige Weiterbildung oder Umschulung der Beschäftigten engagieren.“
Immaterielle Wirkungen
Neben den sozioökonomischen Aspekten gibt es vielfältige immaterielle Wirkungen, die mit Umweltpolitik verbunden sind – etwa mit Blick auf die körperliche oder psychische Gesundheit von Menschen, die aber auch finanzielle Folgen haben kann. „Hier geht es etwa um die Frage, wer von Lärm oder Luftschadstoffen belastet ist und wer Zugang zur Natur oder zu Grünflächen hat“, so der Senior Researcher vom Öko-Institut. „Grünflächen sind nicht nur Orte für Erholung und Bewegung, und damit gesundheitsrelevant, sondern auch soziale Begegnungsräume.“ Dies zeigt, dass sich Umweltpolitik auch auf die Alltags- und Freizeitgestaltung und soziale Beziehungen auswirken kann. „Weitere Beispiele dafür sind die Verfügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel und die Aufteilung des Straßenraums zwischen Auto- und Fahrradverkehr.“
Relativ wenig Forschung gibt es bislang zu psychosozialen Effekten von umweltpolitischen Maßnahmen und Diskursen, obwohl die nach Ansicht von Dirk Arne Heyen sehr relevant sein können, insbesondere um Widerstände gegen Umweltpolitik zu verstehen. „So können Menschen, die im Kohlebergbau oder der industriellen Landwirtschaft arbeiten, den Eindruck mangelnder Wertschätzung ihrer Tätigkeit erfahren. Auch ob Leute bei nachhaltigem oder eher umweltschädlichem Ernährungs- oder Reiseverhalten Spaß und Genuss empfinden, scheint mir relevant. Dies kann sich natürlich zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterscheiden.“
Soziale Effekte zu betrachten, erfordere generell, die Wirkungen auf unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zu analysieren – nicht nur mit Blick auf das Einkommen. „So können zum Beispiel Frauen anders betroffen sein als Männer, die Landbevölkerung anders als jene aus der Stadt, Personen mit Migrationsgeschichte anders als jene ohne. Von den schon genannten Grünflächen können wiederum insbesondere Ältere und junge Menschen profitieren, die stärker nahräumlich unterwegs sind. Auch zwischen Wirkungen im In- und Ausland sowie heutigen und künftigen Generationen sollte unterschieden werden.“
Eine Diskurs- und Medienanalyse
Weitere Aspekte beleuchtet das Öko-Institut im Zuge der Fortsetzung des Projektes „Soziale Aspekte von Umweltpolitik“ für das Umweltbundesamt. So hat Franziska Wolff, Leiterin des Bereichs Umweltrecht & Governance, darin eine Diskurs- und Medienanalyse durchgeführt. „Wir haben untersucht, wie soziale Aspekte, die sich aus dem Umweltschutz ergeben, in den deutschen Medien aufbereitet werden und wie sich die unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure dazu positionieren“, sagt sie. „So sollten zentrale Themen, aber auch mögliche Konflikte und blinde Flecken der öffentlichen Diskussion identifiziert werden.“ Eine ernüchternde Erkenntnis: Allenfalls am Rande haben die untersuchten Printmedien im Untersuchungszeitraum 2018 bis 2020 soziale Wirkungen von Umweltpolitik aufgegriffen. Nur selten wird erwähnt, wie sich Kosten und Nutzen von Umweltpolitik gesellschaftlich verteilen – und dass sich viele Umweltpolitikmaßnahmen, vom Lärmschutz über den Gewässer- bis hin zum Klimaschutz, positiv auf soziale Fragen und vulnerable Gruppen auswirken. Ein weiterer Schritt im Projekt ist es, gesellschaftliche Trends wie den demografischen Wandel, die Digitalisierung oder auch die Urbanisierung zu sichten und zu bewerten. „Wir wollen herausfinden, wie sich solche Trends auf den Zusammenhang von Umwelt und Sozialem auswirken – und damit auch bewerten, wie eine soziale Umweltpolitik auf sie reagieren muss“, sagt Wolff.
„Abschließend und allgemeingültig zu definieren, wann Umweltpolitik sozial gerecht ist, ist angesichts der Vielfältigkeit der Aspekte und der in Frage kommenden Gerechtigkeitsprinzipien kaum möglich“, so Senior Researcher Dirk Arne Heyen. „Es spricht jedoch viel dafür, in jedem Fall vulnerable Bevölkerungsgruppen in den Blick zu nehmen und zu versuchen, bestehende Ungleichheiten abzubauen, statt sie zu vergrößern.“ In einem Projekt für die EU Kommission zu sozial-ökologischen Indikatoren hat das Öko-Institut drei übergeordnete Ziele für eine sozial gerechte Umweltpolitik definiert. So sollte diese erstens die Umwelt zum Wohle aller Menschen schützen, dabei aber auch die bestehende ungleiche Verteilung von umweltbezogenen Risiken, Belastungen und Vorteilen reduzieren. „Zweitens ist es wichtig, dass einkommensschwache oder anderweitig vulnerable Haushalte mit Blick auf ihre Bedürfnisse nicht überproportional belastet werden, sondern vielmehr auch von finanziellen Vorteilen und sozialen Teilhabechancen durch Umweltpolitik profitieren können“. Und drittens: Menschen, die vom Strukturwandel betroffen sind – etwa im Kohlebergbau –, sollten mit Blick auf neue Beschäftigungsmöglichkeiten besonders unterstützt werden. Wichtige Schritte, damit von besserer Luft, gesunden Nahrungsmitteln und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen so viele Menschen wie möglich profitieren können.
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Der Senior Researcher Dirk Arne Heyen befasst sich am Öko-Institut mit nachhaltigem gesellschaftlichem Wandel, dessen politischer Gestaltung sowie Akzeptanzfragen. Franziska Wolff leitet seit 2014 den Bereich Umweltrecht & Governance, ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Grundsatzfragen von Umweltpolitik, unter anderem auf deren Kohärenz mit anderen Politikzielen.