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Eine Welt voll Kunststoff

Weniger Plastik konsumieren – wie geht das?

Christiane Weihe

Über 400 Millionen Tonnen Plastik werden weltweit jedes Jahr hergestellt. Wir finden es fast überall in unserem Alltag: In Verpackungen für Lebensmittel und Kosmetikprodukte, in Rührschüsseln und Putzeimern, in Autos und Fahrrädern, in Kleidung und Möbeln. Dabei ist dieses omnipräsente Plastik – dies nur der umgangssprachliche Oberbegriff für verschiedene Kunststoffe – ein vergleichsweise „junges Material“. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte es sich in unserem Alltag durch. Seither jedoch mit rasantem Zuwachs beim Verbrauch. Das hat durchaus seine Gründe: Plastik ist effizient, Plastik ist praktisch, Plastik ist billig. Die Art, wie wir Plastik nutzen, hat jedoch zahlreiche negative Auswirkungen, vor allem auf die Umwelt. Wie sich diese begrenzen lassen, damit beschäftigt sich das Öko-Institut in unterschiedlichen Projekten.

„Plastik hat sehr viele Vorteile“, sagt Dr. Andreas Köhler vom Öko-Institut, „es hat gute technische Eigenschaften, ist leicht, lässt sich gut formen und einfärben. Außerdem ist es gebrauchssicher, es splittert zum Beispiel nicht wie Glas. Und im Vergleich zu anderen Materialien bietet Plastik durchaus Vorteile in Punkto Ökoeffizienz.“ Darüber hinaus betont der Senior Researcher aus dem Bereich Produkte & Stoffströme den Zeitspareffekt, der mit Plastikverpackungen einhergeht. „Sie ermöglichen es uns zum Beispiel, fertig zubereitete Lebensmittel auf die Schnelle im Supermarkt einzukaufen. Unser Lebensstil hat sich total darauf eingestellt, ohne viel Zeitaufwand satt zu werden statt auf dem Bauernhof frische Lebensmittel einzukaufen.“ In Plastik eingepackte Nahrung wird meist als hygienischer und weniger verderblich angesehen. Trotzdem fördert Plastik den schnellen und achtlosen Umgang mit Lebensmitteln, so Köhler. „In Deutschland landen jährlich pro Person durchschnittlich 82 Kilogramm Lebensmittel im Abfall, trotz schützender Verpackung. Die eigentlich tollen Vorteile des Plastiks verkehren sich durch achtlosen Konsum leider sehr schnell ins Gegenteil.“

Die achtlose Entsorgung von Plastik führt zu massiven Verschmutzungen. „Etwa 75 Prozent des Mülls, der in Meeren und an Stränden gefunden wird, enthält Kunststoffe“, so Köhler, „dazu gehören Plastiktüten und -flaschen ebenso wie Einwegprodukte und Fischereinetze.“ Schätzungen besagen, dass jährlich 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Meere gelangt und ewig dort verbleibt. Riesige Strudel aus Plastikteilchen treiben in den Ozeanen. Ein Müll, der gravierende Auswirkungen auf die marine Tierwelt hat. „Vögel, Schildkröten oder Fische verschlucken unseren Plastikmüll, verstricken sich darin oder strangulieren sich damit“, erklärt Köhler, „darüber hinaus gelangen mit den Kunststoffen viele schädliche Substanzen wie Weichmacher oder Flammschutzmittel in die Ozeane.“ Und nicht zu vergessen: Plastik ist ein Material, das fast ausschließlich aus fossilen Rohstoffen hergestellt wird.

WENIGER LITTERING

Im Projekt „Status Quo, Handlungspotentiale, Instrumente und Maßnahmen zur Reduzierung des Litterings“ hat sich das Öko-Institut gemeinsam mit der ZEUS GmbH dem Littering gewidmet, also dem vorsätzlichen oder fahrlässigen Hinterlassen von Abfällen im öffentlichen Raum. Im Auftrag des Umweltbundesamtes erhob das Projektteam in einer Onlinebefragung etwa von öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern und Naturschutzverbänden interessante Fakten: zur Art und Menge der gelitterten Abfälle, den Entsorgungskosten sowie zu Ideen, diese Abfälle zu begrenzen. „Welche Maßnahmen sind wirkungsvoll? Dies war eine zentrale Frage des Projektes“, erklärt Dr. Georg Mehlhart vom Öko-Institut. Der stellvertretende Leiter des Bereichs Ressourcen & Mobilität betont, dass es viele unterschiedliche Instrumente bei Bund, Ländern und Kommunen geben muss. „Ansatzpunkte können zum Beispiel die Ausweitung der Mehrwegsysteme, Verbote von Einwegprodukten, die leicht ersetzbar sind, die Beteiligung von Take away-Anbietern an den verursachten Kosten durch Littering oder auch Pfand auf weitere Produkte sein“, sagt er, „auch eine verbesserte Abfalllogistik sowie ein verbessertes Produktdesign können geeignet sein, um Littering zu begrenzen.“ Als besonders wirkungsvoll schätzen die Befragten flankierende Bildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen ein. Fast 80 Prozent sehen darüber hinaus Bedarf für weitere Maßnahmen – so etwa höhere Bußgelder und eine stärkere Überwachung. „Unsere Analyse empfiehlt zudem, dass sich Verantwortliche vernetzen und über erfolgreiche Ansätze austauschen“, so Mehlhart.

WENIGER MIKROPLASTIK

Ein großes Problem für unsere Ökosysteme sind nicht nur achtlos weggeworfene Plastikgegenstände, sondern auch Kunststoff-Mikropartikel, das so genannte Mikroplastik. Sie sind kleiner als fünf Millimeter und stammen zum Beispiel aus Kosmetikprodukten. „Mikroplastik entsteht aber auch durch den langsamen Zerfall von Plastikprodukten oder durch Abrieb, etwa von Autoreifen,“ sagt Dr. Andreas Köhler. Mikroplastik findet sich inzwischen in Böden, Flüssen und Meeren, eine unumkehrbare Verschmutzung. Meerestiere wie Muscheln oder Fische nehmen diese Plastik-Mikropartikel auf und damit  ebenso daran angereicherte Schadstoffe. „Bislang können wir die Schädlichkeit des Mikroplastik noch gar nicht abschätzen, deshalb müssen wir seine Freisetzung in die Umwelt vorsorglich verringern“, so der Senior Researcher

Im abgeschlossenen Spendenprojekt „Ohne Plastik leben – aber wie!?“ hat das Öko-Institut anhand von drei Produktgruppen, die große Mengen Kunststoffpartikel in die Umwelt freisetzen – Fahrzeugreifen, Kunstfasertextilien sowie Plastikverpackungen für Lebensmittel –, überlegt, wie sich diese Mengen reduzieren lassen. „Kaum jemand weiß, dass Reifenabrieb der größte Verursacher von Mikroplastik in der Umwelt ist“, erklärt Köhler, „jährlich produziert der straßengebundene Verkehr in Deutschland rund 100.000 Tonnen Kunststoffpartikel. Das ist etwa ein Drittel des Gesamtaufkommens.“ Autofahrer und Autofahrerinnen können den Reifenabrieb nach Einschätzung des Projektteams eigentlich nur durch eine seltenere Pkw-Nutzung und eine schonende Fahrweise reduzieren. Verschärfte rechtliche Anforderungen an die Reifeneigenschaften sowie die Erweiterung des EU-Reifenlabels könnten Reifenhersteller und die Automobilbranche dabei unterstützen, abriebärmere Fahrzeugreifen zu vermarkten.

Von den meisten Verbraucherinnen und Verbrauchern unbemerkt ist auch synthetische Kleidung eine Quelle von Mikroplastik: Beim Tragen und Waschen lösen sich daraus Polymer-Mikrofasern – etwa 77 Gramm pro Jahr und Person in Deutschland. Auch weggeworfene Kunstfasertextilien können zur Quelle für Mikroplastik werden, etwa wenn sie als Second-Hand-Ware ins Ausland gelangen und dort nach der Zweitnutzung auf ungeordneten Müllkippen landen. „Ständig neue Klamotten, permanent die neueste Mode – muss das wirklich sein?“ fragt Andreas Köhler. „Außerdem benötigen wir im Alltag nicht immer die Funktionen synthetischer Fasern – außer vielleicht bei Regenkleidung. Aber Vorsicht: Chemiefasern einfach durch Naturfasern zu ersetzen, ist ökologisch nicht unbedingt sinnvoll, denn für die Baumwollproduktion werden Unmengen Wasser und Pestizide eingesetzt.“ Wichtig sei es vielmehr, Kleidung wieder mehr wertzuschätzen und sie zu reparieren statt sie beim ersten Anzeichen von Verschleiß wegzuwerfen. „Auch hier kann die Politik regulierend eingreifen – etwa, indem sie eine ermäßige Mehrwertsteuer auf die Reparatur und Aufbereitung gebrauchter Kleidung einführt.“ Ein weiterer Ansatzpunkt wäre die Entwicklung von fest installierbaren Mikrofaserfiltern für Waschmaschinen durch die Hersteller.

Eine große Menge an Plastikmüll produziert auch der Nahrungskonsum – 80 bis 90 Prozent der Lebensmittel kommen vorverarbeitet in unsere Haushalte: Fertiggerichte, abgepackter Wurstaufschnitt und Joghurt im Einweg-Becher. Das ist bequem, muss aber nicht so sein: „Supermärkte haben zum Beispiel bereits damit begonnen, Plastiktüten durch wiederverwendbare Stoffbeutel zu ersetzen. Und die so genannten Unverpackt-Läden zeigen, dass Einkaufen auch ohne viel Plastik geht“, sagt der Senior Researcher, „außerdem sollten wir die Portionsgrößen überdenken, die wir einkaufen. Lieber einmal eine ganze Salami am Stück mit nach Hause nehmen als mehrfach 100-Gramm-Portionen.“ Wichtig sei es auch, Lebensmittelabfälle zu vermeiden, denn mit ihnen würden oft auch Verpackungen weggeworfen. „Zudem könnte der Handel zum Beispiel ein Mehrwegsystem für Lebensmittelbehälter einführen.“ Hierbei ist klar die Politik am Zug. So könnte etwa das ab 2021 geltende EU-weite Verbot für Einwegprodukte aus Plastik wie Plastikteller, Strohhalme oder Plastikbesteck ausgeweitet werden (zum EU-Verbot von Einwegplastik siehe Interview mit Piotr Barczak auf Seite 14). So halten die Expertinnen und Experten es unter anderem für sinnvoll, Einwegflaschen für Obstsäfte und Softdrinks zu verbieten, weil sich diese Plastikflaschen besonders schlecht recyceln lassen.

OHNE PLASTIK?

Ganz ohne Plastik leben – das ist aus Sicht der Wissenschaftler vom Öko-Institut nicht realistisch, so lange sich viele Menschen am Massenkonsum erfreuen. Auch ein reiner Ersatz von Plastik durch andere Materialien ist ökologisch nicht sinnvoll. Doch die schwerwiegenden Auswirkungen des Plastikkonsums auf unsere Ökosysteme sind unübersehbar, sie erfordern zumindest eine deutliche Begrenzung des Plastikkonsums und damit eine Änderung der Konsumgewohnheiten. „Wir alle sind Teil des Problems, wir alle können jeden Tag etwas ändern“, sagt Dr. Andreas Köhler. Er betont aber auch: „Man kann es aber nicht dem Einzelnen aufbürden, komplett plastikfrei zu leben, es braucht die richtigen politischen Rahmenbedingungen und eine tiefergehende Transformation der Gesellschaft und der Wirtschaft.“ Für eine Welt vielleicht nicht ohne Plastik. Aber mit einem bewussten und nachhaltigen Umgang mit diesem guten und gleichzeitig bedrohlichen Material.

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Nach seinem Studium der Ökologie und des Umweltschutzes erwarb Dr. Andreas Köhler einen Master in Environmental Management and Policy. Seine Doktorarbeit verfasste er an der TU Delft zu Umweltrisiken neuer Technologien. Am Öko-Institut beschäftigt sich der Senior Researcher heute mit zahlreichen Nachhaltigkeitsfragen zu Chemikalien und Technologien,  er widmet sich unter anderem Elektro- und  Elektronikprodukten sowie der Digitalisierung.