Fahrplan zu einer nachhaltigen Rohstoffwirtschaft
Christiane Weihe
Rund 40 Tonnen Quecksilber gelangen jedes Jahr durch den illegalen Goldabbau in das peruanische Amazonasgebiet. Allein die weltweite Stahl- und Zementproduktion verursacht das Sechsfache der Treibhausgasemissionen der Bundesrepublik, 5,7 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente. Nach Schätzungen des UN-Kinderhilfswerks UNICEF arbeiten in südkongolesischen Minen rund 40.000 Kinder. Der geschützte hessische Bannwald südlich des Langener Waldsees wird für die Erweiterung des Kiesabbaus gerodet.
Beispiele, die mehr als deutlich die ökologischen und sozialen Probleme im Zusammenhang mit der Primärgewinnung von Rohstoffen zeigen. Probleme, denen sich auch die Bundesrepublik stellen muss. Denn die globalen Minen- und Verarbeitungsaktivitäten decken unter anderem die Nachfrage eines Industrielandes wie Deutschland. Viele der benötigten Rohstoffe werden hierzulande gefördert – so etwa Kies. Vor allem bei Metallen wie Eisen, Aluminium oder Kupfer sowie bei Technologierohstoffen wie den Seltenen Erden ist Deutschland aber bei Primärrohstoffen vollständig von Importen abhängig. Mit Blick auf bestehende Versorgungsrisiken und die oftmals schwerwiegenden sozialen und ökologischen Folgen der Förderung ist klar: So wie bisher kann Deutschland nicht weitermachen, notwendig ist eine langfristig angelegte Rohstoffwende.
„Mit Blick auf eine langfristig wirksame, nachhaltige Rohstoffstrategie müssen wir hierzulande noch viel tun“ sagt Stefanie Degreif, Wissenschaftlerin am Öko-Institut. „Indikatoren wie die Rohstoffproduktivität können zwar als eine Art grober Pegelstandsmesser herangezogen werden. Sie geben aber keinerlei Auskunft zu ökologischen und sozialen Auswirkungen der Rohstoffbedarfe – und diese können bei den verschiedenen Rohstoffen grundlegend anders. ein.“ So unterscheiden sich etwa die Auswirkungen von Massenrohstoffen wie Stahl oder Kies grundlegend von jenen der Nicht-Massenrohstoffe, so etwa der Technologiemetalle Lithium und Neodym. Daher können für Massen- und Nicht-Massenrohstoffe nicht die gleichen Indikatoren und Ziele für eine nachhaltige Rohstoffwirtschaft abgeleitet werden. Hier will das Öko-Institut ansetzen: Im eigenfinanzierten Projekt „Rohstoffwende Deutschland 2049“ entwirft das Institut eine langfristige Strategie für eine nachhaltige Rohstoffwirtschaft für Deutschland. Für die Analyse betrachtet das Projektteam 75 abiotische Rohstoffe aus den Rohstoffkategorien Erze, Industriematerialien und Baumaterialien. „Wir untersuchen Edelmetalle wie Palladium oder Gold und Industriematerialien wie Kalisalze oder Phosphat. Berücksichtigt werden Rohstoffe wie Sand und Kies, die vor allem hierzulande gefördert werden, aber auch jene, die importiert werden müssen, so Neodym oder Zinn.“ Die ausgewählten Rohstoffe haben ein breites Spektrum an Eigenschaften mit Blick auf Primärgewinnung, Nutzung und Recycling. Für sie werden im Rahmen des Projektes Risiken und Auswirkungen analysiert. „Das betrifft ökonomische Fragen wie Versorgungsrisiken, aber vor allem auch ökologische Folgen wie Schadstoffemissionen, Flächeninanspruchnahme und das Risiko radioaktiver Stoffe. Ebenso wichtig sind soziale Aspekte wie Arbeitssicherheit und Kinderarbeit“, erklärt Stefanie Degreif.
Die sogenannten HotSpots, besonders relevante negative Folgen der Rohstoffgewinnung, zeigen sich bei den verschiedenen Rohstoffen in unterschiedlichen Kategorien. Daher entwickelt das Projektteam für die identifizierten rohstoffspezifischen HotSpots auch rohstoffspezifische Ziele sowie Maßnahmen und Instrumente zu ihrer Erreichung. Das können mit Blick auf das Rohstoffangebot zum Beispiel Vorgaben für eine nachhaltige, ökologische und soziale Primärgewinnung sein, mit Blick auf die Rohstoffnachfrage hingegen eine längere Verwendung von Infrastrukturen und Produkten.
„Wir haben zwei Szenarien entwickelt – das Business-as-usual-Szenario und das Rohstoffwende-Szenario“, sagt Degreif, „darin prognostizieren wir die Entwicklung des Rohstoffbedarfs bis 2049. Zudem geben wir Handlungsempfehlungen in unterschiedlichen Bedürfnisfeldern wie Informations- und Kommunikationstechnik, Wohnen, Arbeiten oder Mobilität.“ Der Vergleich der beiden Szenarien zeigt, in welchem Umfang eine Rohstoffwende möglich ist. „Würde sich etwa beim Wohnen alles so weiterentwickeln wie bisher, blieben die Anteile an flächen- und materialintensiven Bauformen sowie an Neubauten hoch. Es würde weiterhin sehr wenig Recyclingbeton und wenig Holz eingesetzt sowie nur moderat saniert“, so Stefanie Degreif. In einem Rohstoffwendeszenario hingegen nimmt das Öko-Institut eine Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden durch eine Erhöhung der Sanierungsrate, vermehrtes Bauen von und Wohnen in Mehrfamilienhäusern sowie den verstärkten Einsatz von Holz und Recyclingbeton an.
ROHSTOFFWENDE: BEISPIELE KIES UND NEODYM
Die Vorgehensweise des Projektes „Rohstoffwende Deutschland 2049“ zeigt sich exemplarisch an den Materialien Kies und Neodym. „Zwei sehr unterschiedliche Rohstoffe: Kies, das Massenmaterial, wird praktisch ausschließlich hierzulande gefördert. Das Technologiemetall Neodym wird hingegen vollständig importiert“, sagt Degreif, „auch die Herausforderungen der Förderung liegen in unterschiedlichen HotSpots und erfordern daher unterschiedliche rohstoffspezifische Ziele.“ Besonders negative Folgen der Primärgewinnung des Massenrohstoffs Kies sind etwa die Flächeninanspruchnahme und Zerstörung des Landschaftsbildes. Ein rohstoffspezifisches Ziel muss daher den absoluten Primärbedarf mittel- und langfristig verringern. Das Projektteam formulierte unter anderem das Ziel, den Einsatz von Recyclingmaterial von derzeit 0,4 auf fast zehn Prozent zu steigern sowie die Neubauaktivitäten durch besseren Bestandserhalt zu bremsen. „Wir haben beispielhafte Maßnahmen identifiziert, die fast zu einer Halbierung des Primärkiesbedarfs führen“, so Degreif, „dazu gehören die Einführung einer Primärbaustoffsteuer, das Vorschreiben eines Mindesteinsatzes von Recyclingbeton bei öffentlichen Bauvorhaben sowie die Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden.“ Beim Vergleich des primären Rohstoffbedarfs in den entwickelten Szenarien zeigte sich, wie deutlich sich durch die formulierten Maßnahmen die Kiesnutzung verringern lässt: Der Bedarf liegt in den betrachteten Sektoren Wohnen, Arbeiten und Mobilität im Rohstoffwendeszenario bis 2049 um knapp die Hälfte bzw. etwa 23 Millionen Tonnen pro Jahr niedriger als im Business-as-usual-Szenario.
Beim Technologiemetall Neodym gibt es neben dem Versorgungsrisiko sowie dem Risiko der Korruption, der mangelnden Arbeitssicherheit und Kinderarbeit vor allem sehr relevante Umweltrisiken: die radioaktiven Rückstände sowie die Schwermetalle bei der Primärgewinnung.
„Im Gegensatz zum Ziel der absoluten Verringerung des Primärbedarfs von Kies liegt der Fokus beim Technologiemetall Neodym, das zum Beispiel für Elektromotoren in Elektrofahrzeugen eingesetzt wird, nicht auf einer Reduzierung des Primärbedarfs“, so Degreif, „das Seltenerdmetall hilft durch den Einsatz in Umwelttechnologien, andere Ressourcen massiv einzusparen. Daher sollte eine Rohstoffstrategie hier vor allem Maßnahmen in der Primärkette und damit die Bereitstellung von zertifiziertem Primärmaterial im Blick haben.“ Für entsprechend zertifiziertes Neodym hat das Projektteam des Öko-Instituts ambitionierte Kriterien definiert. „Sollte die freiwillige Zertifizierung mittelfristig nicht den gewünschten Erfolg erzielen, sind Importzölle und -verbote mögliche Maßnahmen, um eine Zertifizierung zu unterstützen.“ Für Neodym beschreibt das Projekt zudem das Ziel, den Einsatz von Sekundärmaterial von heute null auf 30 Prozent bis 2049 zu erhöhen sowie die Nutzungsdauer von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) um 50 Prozent zu verlängern. „Trotz des ambitionierten Recyclings steigt im Rohstoffwende-Szenario der primäre Neodymbedarf der betrachteten relevanten Sektoren Mobilität und IKT um 1.200 Tonnen jährlich beziehungsweise knapp 60 Prozent“, sagt Stefanie Degreif, „das Rohstoffwendeszenario zeigt aber auch, dass sich der Anteil an zertifiziertem Neodym erheblich steigern lässt: Er kann bis 2049 bei 80 Prozent des Gesamtbedarfs liegen und somit die negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen absolut deutlich reduzieren.“
Wie sich die Rohstoffwende für diese und andere Rohstoffe verwirklichen lässt, daran arbeitet das Projektteam noch bis Ende 2016: Auf der Jahrestagung des Öko-Instituts am 1. Dezember werden die finalen Ergebnisse des Projektes erstmals öffentlich vorgestellt.
NACHHALTIG IN EUROPA
Mit einer nachhaltigen Rohstoffversorgung befassen sich Wissenschaftler des Öko-Instituts gemeinsamen mit internationalen Partnern auch im Projekt STRADE (Strategic Dialogue on Sustainable Raw Materials for Europe). Das von der Europäischen Union geförderte Forschungsvorhaben geht derzeit der Frage nach, wie eine langfristige Rohstoffstrategie der EU ausgestaltet werden kann, die mit Blick auf ökologische und soziale Fragen nachhaltig erfolgt. Hierfür arbeiten die Wissenschaftler mit Projektpartnern aus rohstoffreichen Ländern wie Südafrika zusammen. „Die Interessen dieser Länder sollen berücksichtigt werden, daher werden wir in Workshops über Erfahrungen bei Rohstoffpolitik und -förderung sprechen“, erklärt Stefanie Degreif, „die gewonnenen Erkenntnisse werden wir zusammen mit begleitenden Analysen für ein international anerkanntes Bewertungsschema für Rohstoffförderung nutzen.“ Dieses soll nachvollziehbare und transparente Kriterien für eine sozial und ökologisch verträgliche Förderung von Rohstoffen enthalten. „So werden Politik, Wirtschaft und Investoren bei der Bewertung des Nachhaltigkeitsniveaus einer Förderstätte unterstützt“, sagt Degreif. Zusätzlich behält das Projektteam auch Fragen der Versorgungssicherheit Europas sowie den europäischen Bergbau im Blick: „Teil von STRADE ist es ebenfalls, Lösungsansätze für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rohstoffförderung und -industrie zu entwickeln.“