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Im Fokus

Quoten und Anreize

Urban Mining in Deutschland

Christiane Weihe

Das Haus, in dem wir sitzen, gehört dazu. Die Straße vor der Tür auch. Und das Auto, das gerade vorbeifährt, ebenso. Wir sind umgeben vom so genannten anthropogenen Lager. Dieses beinhaltet Gebäude und Infrastrukturen, aber auch Dinge des täglichen Gebrauchs, in denen Rohstoffe verbaut oder verarbeitet sind. So sind auch Elektro- und Elektronikgeräte oder Möbel Materiallager – wenn auch deutlich kleinere. Rohstoffe durch Urban Mining zu erfassen und zurückzugewinnen, entlastet natürliche Ressourcen sowie Umwelt und Klima. Und damit nicht zuletzt uns Menschen. Wie sich dieser „Bergbau in der Stadt“ voranbringen und verbessern lässt, dazu forscht das Öko-Institut in zahlreichen Projekten.

Schon seit mehreren Jahren widmen sich Wissenschaftler*innen im Projekt „KartAL – Kartierung des Anthropogenen Lagers“ für das Umweltbundesamt immer wieder dem anthropogenen Lager und den Möglichkeiten, es besser zu nutzen. Derzeit bereitet unter anderem das Öko-Institut im Rahmen von "KartAL V" eine Urban Mining-Strategie mit zentralen Inhalten und Zielen für Deutschland vor. „Eine solche Strategie braucht es aus zahlreichen Gründen“, erklärt Dr. Johannes Klinge aus dem Bereich Ressourcen & Mobilität. „Es geht um die Entlastung der Umwelt und das Schonen natürlicher Ressourcen ebenso wie um eine geringere Importabhängigkeit und die Vermeidung von Rohstoffknappheiten. Wichtig ist es zudem, Rohstoffe zu sichern, die auf dem Weg zur Klimaneutralität dringend benötigt werden. So etwa Seltene Erden, die in vielen Elektromotoren und Windrädern stecken.“

Die Wissenschaftler*innen widmen sich damit einem äußerst komplexen Thema. Denn die Vielfalt der unterschiedlichen Stoffe und Materialien ist immens, die der verschiedenen Produkte ebenfalls. Gleichzeitig unterscheiden sich die anthropogenen Lagerstätten deutlich in ihrer Lebensdauer. „Man muss Prioritäten setzen, um Urban Mining in den relevantesten Bereichen in Schwung zu bringen. In einem ersten Schritt haben wir daher die wichtigsten Sektoren definiert. Also jene Bereiche, in denen etwa die Umweltbelastung oder die Rohstoffabhängigkeit besonders stark reduziert werden könnten.“ Dies sind zum Beispiel Windkraft- und Photovoltaikanlagen, Elektromotoren und Lithium-Ionen-Batterien sowie mineralische Baustoffe im Hochbau. „Darüber hinaus legen wir unter anderem einen Fokus auf fossile und nukleare Kraftwerke sowie Kunststoffe aus Rohren und Kanalsystemen.“

Zu wenig Anreize

Im weiteren Projektverlauf definieren die Wissenschaftler*innen Ziele für das Urban Mining hierzulande sowie mögliche Instrumente. Diese sind dringend nötig – denn bislang wird ein großer Teil der Rohstoffe nicht zurückgewonnen, wenn etwa ein Haus abgerissen oder ein Auto verschrottet wird. „Kunststoffe aus dem Fahrzeugbereich werden heute zum Beispiel zum größten Teil verbrannt. Kupfer wird teils gemeinsam mit dem Stahl eingeschmolzen, was nicht nur einen Verlust des Kupfers bedeutet, sondern zusätzlich die Qualität des Sekundärstahls verringert, so dass er maximal noch als Baustahl verwendet werden kann.“ Warum? Einfache Antwort: Weil es sich finanziell bislang nicht lohnt, diese Stoffe in hoher Qualität zu recyceln. Die dazu notwendige Demontage und Trennung sowie die Aufreinigung der unterschiedlichen Materialien ist mit Mehraufwand verbunden. Dabei wäre es wichtig, gerade für jene kritischen Rohstoffe, die für die Antriebswende im Verkehr gebraucht werden, Recyclingstrukturen zu etablieren. „Es fehlte bislang an Anreizen, dies zu tun, und auch an entsprechenden Vorschriften. Gleichzeitig gab es keinen stabilen Markt für das recycelte Material, da es immer mit den stark schwankenden Preisen für Primärmaterial konkurriert. Warum sollten sich Unternehmen hier engagieren, wenn sie das Rezyklat anschließend nicht zu kostendeckenden Preisen absetzen können?“ Auch Schadstoffe können ein Thema sein, das Urban Mining verhindert – so etwa bei Deponien. Denn hier vermischen sich verschiedene Materialien. „Wir können keinen Kreislauf etablieren, wenn wir einer Komplett-Schadstofffrei-Strategie folgen. Null Prozent Schadstoffe gibt es nirgends, es müssen sinnvolle Grenzwerte gefunden werden. Hier gilt es, das Risiko für die Gesundheit und die Umweltvorteile des Recyclings sorgfältig zu prüfen und abzuwägen“, sagt Klinge.

Wo also anfangen? „Ein erster Gedanke ist häufig, eine Ressourcensteuer einzuführen und damit den Verbrauch von Primärrohstoffen zu verteuern und Rezyklate wettbewerbsfähig zu machen“, sagt Klinge. „Dies ist hierzulande jedoch rechtlich schwierig umzusetzen.“ Die bestehende Regulierung auf EU-Ebene setzt zudem nicht auf einzelne Materialien, sondern nimmt unterschiedliche Produkte in den Fokus. So gibt es zum Beispiel eine Batterieverordnung, die unter anderem eine Gesamteffizienz des Recyclings festlegt, eine Altfahrzeuge-Richtlinie, die mit Blick auf Recycling Quoten definiert, sowie eine nationale Ersatzbaustoffverordnung, die den Umgang mit Recyclingmaterial regelt. „Für einen geeigneten rechtlichen Rahmen muss man sich also von Sektor zu Sektor vorarbeiten, möglichst auf EU-Ebene.“

Besonders wichtig sei dabei eine genaue und differenzierte Definition von Recycling. „In vielen Ländern wurde es zum Beispiel lange Zeit als Recycling gerechnet, wenn die Abfälle im Bergbau zur Verfüllung genutzt wurden“, erklärt der Senior Researcher. „Und wenn der Fahrzeugsektor eine Verwertungsquote von 95 Prozent erreicht, sich dies aber nur auf das Gesamtgewicht bezieht, bringt das unterm Strich auch nicht viel. Denn viele wertvolle Stoffe mit großen Umweltauswirkungen und hoher Importabhängigkeit wiegen nicht viel – so zum Beispiel die Seltenen Erden.“

Anteile festlegen

Wie sich Rohstoffe aus dem Automobilsektor besser nutzen lassen, zeigt das Projekt „Ressourcenschonende Fahrzeuge – AutoRess“ im Auftrag des Umweltbundesamtes, das gemeinsam mit dem ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung, Mehlhart Consulting und Team Ewen umgesetzt wird. In Fahrzeugen sind zahlreiche Ressourcen verbaut. Eisen beziehungsweise Stahl ebenso wie Aluminium und Kupfer, Glas, Kunststoffe und Textilien sowie kritische Rohstoffe wie Platin oder Kobalt. „Alleine 2020 wurden in der europäischen Automobilindustrie 22,4 Millionen Tonnen Primärrohstoffe und sechs Millionen Tonnen recycelte Rohstoffe genutzt“, erklärt Dr. Johannes Klinge.

Einen wichtigen Hebel, damit Rohstoffe nicht verloren gehen, sehen die Wissenschaftler*innen in höheren Rezyklatanteilen in der Produktion – und verbindlichen Vorgaben dazu. Ein großer Schritt nach vorne sei hier die EU-Batterieverordnung aus dem vergangenen Jahr. „Hier gibt es klare Rückgewinnungsquoten für die wichtigsten Metalle – Lithium, Kupfer, Kobalt und Nickel.“ Ab 2031 werden schrittweise Anforderungen zum Recyclinganteil eingeführt – so auch für Lithium-Ionen-Batterien. „Bis 2031 liegt dieser etwa für Kobalt bei 16 Prozent und steigt bis 2036 auf 26 Prozent.“ Aus Sicht des Ressourcenexperten wird sich das

Recycling von Lithium-Ionen-Batterien in Zukunft immer mehr lohnen. „Wenn sich die Elektromobilität weiter am Markt durchsetzt, steigt auch die Zahl der Altbatterien. Es wird damit gerechnet, dass alleine der globale Bedarf an Nickel bis 2030 zu 25 Prozent für Batterien verwendet wird. Das Recycling der in Europa anfallenden Batterien wird, wie schon heute, weiterhin in Europa stattfinden – bislang stehen große Recyclinganlagen jedoch vor allem in China aufgrund der dort anfallenden Mengen an Produktionsschrott.“

Bei anderen Metallen im Fahrzeugbau wie etwa Eisen, Kupfer oder Aluminium gebe es bislang noch keine gesetzlichen Vorgaben, Sekundärrohstoffe einzusetzen. „Diese könnten auch hier sinnvoll sein“, so Dr. Johannes Klinge. „Zielführend sind weitere Ansätze, etwa aus dem Vorschlag zur neuen Altfahrzeuge-Verordnung der Europäischen Kommission: Diese will Hersteller verpflichten, benutzerfreundliche sowie detaillierte Demontage- und Recyclinginformationen zur Verfügung zu stellen und auch finanziell für eine verbesserte Aufbereitung von Altfahrzeugen aufzukommen.“

Die Quote entkoppelt

Hersteller dazu zu verpflichten, in neuen Produkten einen bestimmten Anteil recycelter Rohstoffe einzusetzen – oder anders gesagt: eine Rezyklateinsatzquote –, hält der Experte vom Öko-Institut übrigens grundsätzlich für ein wertvolles Instrument. Warum, haben die Wissenschaftler*innen am Beispiel von Kunststoffen im Projekt „Prüfung konkreter Maßnahmen zur Steigerung der Nachfrage nach Kunststoffrezyklaten und rezyklathaltigen Kunststoffprodukten“ für das Umweltbundesamt gemeinsam mit dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) gezeigt. „Führt man solche Quoten für bestimmte Kunststoffprodukte ein, sichert dass eine Nachfrage nach Rezyklaten und entkoppelt die Frage, wie viele Rezyklate eingesetzt werden, zudem von den Preisen die Primärkunststoffe. Diese sind noch immer so niedrig, dass sich das Recycling ökonomisch derzeit häufig nicht lohnt.“ Rezyklateinsatzquoten können zudem für die Recyclingunternehmen Anreize setzen, Kapazitäten zu schaffen. „Durch die stark schwankenden Preise für Primärkunststoffe ist für die damit konkurrierenden Rezyklate oft keine Investitionssicherheit gegeben. Diese kann durch eine festgeschriebene Rezyklateinsatzquote geschaffen werden.“

In Zukunft informierter

Bei Urban Mining geht es darum, die bereits vorhandenen anthropogenen Lagerstätten zu nutzen. Aber ebenso: sie in Zukunft besser anzulegen. Denn jährlich wachsen sie um etwa achthundert Millionen Tonnen Materialien an. „Das fängt zum Beispiel damit an, Gebäudekataster zu erstellen, wie es gerade in Heidelberg passiert, um in Zukunft ganz genau zu wissen, wo welche Rohstoffe schlummern“, sagt Dr. Johannes Klinge. „Dies ist für alle Bereiche sinnvoll – so könnte es sich zum Beispiel auch lohnen, Kassettendeponien anzulegen, damit man später genau weiß, wo was liegt, und Rohstoffe nicht mit Schadstoffen kontaminiert werden.“ Wissen, wo etwas ist, ist aber nur ein Teil der Lösung. Es dann auch wieder zu nutzen, ein anderer, weitaus schwieriger. „Urban Mining ist mit vielen Herausforderungen verbunden. Doch richtig angepackt kann es sich in vielen Bereichen neben den sozialen und ökologischen Vorteilen in Zukunft auch ökonomisch lohnen.“

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Der Forschungsschwerpunkt von Dr. Johannes Klinge (geb. Betz) liegt auf Fragen des Ressourcenverbrauchs und der Kreislaufwirtschaft. Im Bereich Ressourcen & Stoffströme befasst sich der Chemiker mit dem Bergbau und der Rohstoffverarbeitung ebenso wie mit dem Recycling von Lithium-Ionen-Batterien und Kunststoffen.

Ansprechpartner am Öko-Institut