Verkehr aus der Steckdose
Christiane Weihe
Super 95 oder 98, E10 oder nicht, Diesel oder Autogas. Die Kraftstoffe für unsere Fahrzeuge sind schon heute vielfältig. Ein Kraftstoff wird bislang in vergleichsweise geringem Umfang genutzt: Strom. Eine Tatsache, die sich nach Ansicht der Experten des Öko-Instituts ändern kann und ändern sollte. Denn eine Elektrifizierung des Verkehrs kann einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und den Klimazielen der Bundesregierung leisten – wenn der benötigte Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. In einer aktuellen Studie haben die Wissenschaftler unter anderem analysiert, wie hoch die Stromnachfrage des Verkehrs bis 2050 sein kann und welche Folgen dies für den Energiesektor hat.
Bereits die Studie „OPTUM – Optimierung der Umweltentlastungspotenziale von Elektrofahrzeugen“ des Öko-Instituts hatte gezeigt: Elektrofahrzeuge werden schon bis zum Jahr 2030 einen relevanten Einfluss auf die Emissionen der Stromerzeugung haben, wenn das Ziel der Bundesregierung von sechs Millionen Elektrofahrzeugen bis zu diesem Zeitpunkt annähernd erreicht wird. Die Überschüsse erneuerbaren Stroms reichen hierzulande nicht aus, um die Elektromobilität bis 2030 rein mit erneuerbarem Strom zu versorgen, so ein wesentliches Ergebnis der vom Bundesumweltministerium geförderten Analyse. Bis dahin werden daher mehr Kapazitäten an erneuerbaren Energien benötigt als dies in den gängigen Szenarien vorgesehen ist. Nur so können Elektrofahrzeuge ohne Mehremissionen im Stromsektor betrieben werden.
Die Studie „eMobil 2050 – Szenarien zum Klimaschutzbeitrag von Elektromobilität“ befasst sich nun mit den Folgen einer zunehmenden Elektrifizierung des Verkehrs für die Stromerzeugung und den dadurch erforderlichen Anpassungen im Stromsektor für den Zeitraum bis 2050. Sie geht damit über OPTUM hinaus. Die Analyse im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit blickt zum einen weiter in die Zukunft als OPTUM. „Wir haben uns mit der möglichen Entwicklung der Stromnachfrage aus dem Verkehrssektor bis 2050 befasst“, erklärt Florian Hacker vom Öko-Institut, „wir gehen davon aus, dass es insbesondere nach 2030 aufgrund neuer Technologien und des Ausbaus der Elektromobilität einen signifikanten Anstieg geben wird.“ Die Wissenschaftler haben in der Analyse zudem nicht allein Elektrofahrzeuge betrachtet, sondern den (möglichen) elektrischen Verkehr umfassend beleuchtet. „Die Analyse berücksichtigt alle Verkehrsmittel, die heute oder in absehbarer Zukunft mit Strom betrieben werden können“, erklärt Hacker, „das schließt Flugzeuge und die Seeschifffahrt aus, da wir hier keine Nutzung von elektrischer Energie erwarten.“ Teil der Betrachtung ist neben dem elektrischen Personenverkehr auch der Güterverkehr, auf der Schiene ebenso wie auf der Straße. Zusätzlich befassten sich die Experten mit so genannten strombasierten Kraftstoffen, die unter dem Einsatz von Strom gewonnen werden und konventionelle gasförmige oder Flüssigkraftstoffe im Verkehr ersetzen können. „Das ist allerdings eine Technologie, die in Sachen Effizienz zu wünschen lässt, denn es werden große Mengen Strom dafür benötigt“, sagt der Senior Researcher, „deshalb sollten diese Kraftstoffe in großem Maßstab auf dem Weg zu mehr Klimaschutz nur genutzt werden, wenn der elektrische Antrieb in einer bestimmten Anwendung, wie beispielweise im Luftverkehr, nicht möglich ist.“
Für eMobil 2050 haben die Experten des Öko-Instituts gemeinsam mit Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft zwei Szenarien zur möglichen Marktentwicklung elektrischer Antriebssysteme und strombasierter Kraftstoffe entworfen. Beide nehmen eine deutliche Elektrifizierung des Verkehrs bis 2050 an. „Das Szenario Grenzenlos eMobil geht von einem weiteren Anstieg der Verkehrsnachfrage aus“, erläutert Florian Hacker, „im Szenario Regional eMobil hingegen verändert sich das Verkehrsverhalten und die Verkehrsleistung geht gegenüber dem aktuellen Stand deutlich zurück.“
Eine steigende Bedeutung von elektrischem Personen- und Güterverkehr wird bis 2050 einen deutlichen Anstieg der Stromnachfrage aus dem Verkehrssektor zur Folge haben, so ein Ergebnis der Analyse. Sein Anteil an der Stromnachfrage erhöht sich in den Szenarien auf 15 bis 25 Prozent. „Der Verkehrssektor würde vor diesem Hintergrund zu einem großen Stromnachfrager“ sagt Hacker, „werden außerdem strombasierte Kraftstoffe eingesetzt, ist der Anteil noch höher.“ Wird die zusätzliche Nachfrage nicht aus erneuerbaren Energien gedeckt, würden bei der Stromerzeugung 16 bzw. 50 Millionen Tonnen Treibhausgase zusätzlich verursacht (Regional eMobil bzw. Grenzenlos eMobil). Beim Einsatz regenerativer Quellen jedoch liegt das Potenzial für eine beachtliche Senkung der Treibhausgasemissionen des Verkehrs: Sie könnten bis 2050 um über 80 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden, ohne die Emissionen im Energiesektor zu erhöhen. „Der zusätzliche Bedarf an erneuerbaren Energien geht aber über die aktuellen Ausbauszenarien deutlich hinaus“, stellt der Wissenschaftler vom Öko-Institut fest, „diese Nachfrage kann zudem nur sehr begrenzt aus nicht genutzten Überschüssen gedeckt werden.“
Werden die Kapazitäten der erneuerbaren Energien so ausgebaut, dass sie den Bedarf elektrischen Verkehrs vollständig decken, entstehen ebenfalls Überschüsse. „Das liegt daran, dass es immer Momente geben wird, zu denen entweder die Batterien aller Fahrzeuge am Netz gerade voll geladen sind oder die Leistung der Ladestellen einfach nicht genügt, um die erneuerbaren Energien vollständig zu integrieren“, erklärt Hacker. So entstehen in den Szenarien im Jahr 2050 Überschüsse von etwa 9 bis 10 Prozent der Gesamtproduktion erneuerbaren Stroms. „Eine Option für ihre Nutzung wäre die Erzeugung von strombasierten Kraftstoffen – wenn auch nicht alle Angebotsspitzen der Erneuerbaren integriert werden könnten“, sagt der Senior Researcher vom Öko-Institut, „eine direkte Nutzung des erneuerbaren Strom ist aber, wo technisch möglich, vorzuziehen, da die strombasierten Kraftstoffe weniger effizient sind.“
Aufgrund der hohen Effizienz von elektrischen Antrieben kann bei einer deutlichen Elektrifizierung des Verkehrs darüber hinaus sein Endenergiebedarf erheblich reduziert werden. „Im Szenario Grenzenlos eMobil wird er im Vergleich zu 2010 um 66 Prozent verringert, in Regional eMobil reduziert er sich sogar um 77 Prozent bis 2050“, so Florian Hacker zu einem weiteren Ergebnis der Analyse. Das Minderungsziel der Bundesregierung von 40 Prozent könnte also deutlich übertroffen werden. „Ein Vergleich der beiden Szenarien zeigt, dass sich der Endenergiebedarf – und damit der zusätzliche Ausbaubedarf für erneuerbare Energien – deutlicher senken lässt, wenn wir uns auf die Vermeidung und Verlagerung von Verkehr fokussieren“, ergänzt der Experte.
Langfristig denken
Mit eMobil 2050 unterstreicht das Öko-Institut einen klaren Handlungsbedarf in Bezug auf die Entwicklung der Stromnachfrage aus dem Verkehrssektor sowie der Wechselwirkungen mit dem Stromsektor. „Sollen strombetriebene Fahrzeuge einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz leisten, müssen wir schon heute einen Blick in die Zukunft werfen – und auch danach handeln“, fordert Florian Hacker, „denn nur wenn die steigende Stromnachfrage aus erneuerbaren Energien gedeckt wird, kann der elektrische Verkehr zur dringend notwendigen Verbesserung der Klimabilanz des Verkehrssektors beitragen.“ Entwickelt sich die Stromnachfrage aus dem Verkehr so, wie es die Szenarien des Projektes erwarten, während die erneuerbaren Energien nicht entsprechend ausgebaut werden, wird der zusätzliche Strombedarf zu bedeutenden Teilen weiterhin von konventionellen Kraftwerken erzeugt. Und die Entscheidung zwischen Kohle und Sonne sollte wirklich leicht fallen. Christiane Weihe