Alternativen und Fakten statt Fake News
Christiane Weihe
Er kennt das Öko-Institut in unterschiedlichen Rollen der Wissenserhebung und -vermittlung: als aufmüpfigen Wissenschaftsrebellen ebenso wie als etablierten Gesprächspartner von Politik und Wirtschaft. Seit 37 Jahren ist Prof. Dr. Rainer Grießhammer für das Öko-Institut tätig, davon lange Jahre in der Geschäftsführung, die er im Sommer 2018 niederlegen wird. Mit eco@work sprach er über vergangene und aktuelle Herausforderungen für die Wissenschaft, neue Methoden der Wissensgewinnung und die Rolle des Öko-Instituts bei der Wissensvermittlung.
Prof. Grießhammer, wie haben sich Öko-Institut und Wissenschaft in all den Jahren entwickelt?
In der akuten Umweltkrise der 1970er und 1980er Jahre hatte die klassische Wissenschaft weitgehend versagt – sie hat die Umweltkrise nicht vorausgesehen sowie Risikotechnologien und hochgiftige Chemikalien vielfach verteidigt. Das Öko-Institut wurde 1977 gegründet, weil die Umweltbewegung nach unabhängigen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verlangte. Für Wissenschaft und Politik war das ein Affront – die Arbeiten des Öko-Instituts etwa zu AKWs oder zur Chemieproblematik wurden massiv als unwissenschaftlich oder gar umstürzlerisch kritisiert. Das änderte sich im Kern erst 1986, im Krisenjahr der Hochtechnologien – mit dem GAU in Tschernobyl oder auch der Rheinvergiftung durch den Brand in der Chemiefabrik Sandoz in Basel. Das hat viele zum Umdenken gebracht.
Woran kann man das erkennen?
Heute findet man Umweltwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in den Unis, in Ministerien und Verwaltungen, selbst in Unternehmen. Das Öko-Institut ist zu einem der weltweit führenden Think Tanks geworden. Und die Zusammenarbeit mit den Universitäten ist seit langem sehr gut. Das zeigt sich etwa an gemeinsamen Projekten, Vorlesungen und Reallaboren. Oder auch an der geplanten Brückenprofessur mit der Universität Freiburg sowie einem großen Kooperationsprojekt zur Systeminnovation mit der Hochschule Darmstadt.
Das Öko-Institut hat den Anspruch, ökologische und nachhaltige Alternativen aufzuzeigen. Wie wird das kommuniziert?
Auf vielen Wegen. Von Beginn an stand in unserer Satzung, dass unsere Erkenntnisse veröffentlicht werden müssen. Nichts soll in der Schublade verschwinden, wie das früher oft üblich war. Wir veröffentlichen unsere Studien unter anderem mit Pressemitteilungen, über unserer Website und soziale Medien, über politische Stellungnahmen und die Mitarbeit in vielen Gremien. Und wir beraten die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Parlament, Ministerien, NGOs und Unternehmen direkt.
Wie schwer ist es heute, Umweltwissen zu vermitteln?
Das kommt auf das Thema an. Für Probleme gibt es kurioserweise mehr Interesse als für Lösungen. Akute Umweltprobleme wie schlechte Luft oder Lärm werden eher verstanden als die großen chronischen Probleme mit langer Latenzzeit – wie der Klimawandel oder der Rückgang der Biodiversität. Die Kommunikation wird schwieriger, wenn die Umweltprobleme noch nicht unmittelbar erfahrbar sind.
Außerdem stehen wir immer wieder vor der Herausforderung, dass wir sehr komplexe Sachverhalte erforschen, die inhaltlich abgesichert sein müssen, die Medien aber in der Regel kurze und zugespitzte Aussagen wollen. Es ist mitunter schwer, das zusammenzubringen.
In der Wissenserhebung spielt inzwischen auch die Integration der Praxis eine immer größere Rolle.
Wir haben von Anfang an gesellschaftliche Praxisakteure in unsere Fragestellungen eingebunden und interdisziplinär an Problemlösung und Handlungsorientierung gearbeitet – ohne dies methodisch groß zu reflektieren. Seit einigen Jahren wird genau diese methodische Herangehensweise als Transdisziplinarität ausführlich beschrieben und von den großen Förderinstitutionen bei vielen Programmen ausdrücklich gefordert.
Ist denn die Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern leicht?
Nicht leicht, aber notwendig. Wir haben im Öko-Institut hier langjährige Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen der Information, Kommunikation und Beteiligung, zum Beispiel beim Dialogverfahren zum Frankfurter Flughafen, bei der Ökodesign-Richtlinie, beim Ausbau des Stromnetzes oder bei der Endlagersuche. Wir haben diese Projekte und Erfahrungen kürzlich in einem Arbeitspapier zusammengefasst und hier auch die zentralen Anforderungen an Partizipationsprozesse wie etwa Veränderbarkeit der Ziele und der Planung, Transparenz oder Fairness im Verfahren beschrieben.
Auf welcher Seite stehen Sie in solchen Prozessen?
Auf der Seite von Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Seit einigen Jahren gibt es allerdings sogenannte Grün-Grün-Konflikte. Über einzelne Windkraftanlagen oder Pumpspeicherkraftwerke kann man ja wirklich unterschiedlicher Meinung sein. Aber es gibt auch Bürgerinitiativen, die grundsätzlich gegen Windkraft sind oder grundsätzlich gegen Netzausbau.
Es gibt heute einen Trend, Wissen anzuzweifeln oder zu verdrehen – Stichwort Fake News. Betrifft das auch das Öko-Institut?
Grundsätzlich ist es ja gut, wenn traditionelle Wege und Wissen überprüft und Alternativen gesucht werden. Das machen wir auch. Aber Zweifeln genügt nicht. Die darauf geäußerte Kritik und die Alternativen müssen hieb- und stichfest sein, die Fakten müssen einfach stimmen.
Wie kann man Fake News etwas entgegen setzen?
Indem wir etwa proaktiv und reaktiv zu Themen, von denen wir wissen, dass sie umstritten sind, Positionspapiere oder FAQs veröffentlichen. Das haben wir zum Beispiel zur Elektromobilität gemacht. Noch besser ist, wenn wir zentrale Debatten voraussehen können, die Fakten dazu erheben, die unterschiedlichen Positionen und Alternativen aufbereiten, und damit die gesellschaftliche Entscheidungsfindung vorbereiten. Unsere Rolle zeigt sich schön am Projekt „Transparenz Stromnetze“: Hier ist es uns gelungen, eine Stromnetzmodellierung aufzubauen, mit der wir jetzt die Planungen besser beurteilen und eigene Alternativen oder die von Umweltverbänden zum Netzausbau modellieren können.
Sie gehen jetzt mit 65 Jahren aus der Geschäftsführung. Welche Herausforderungen erwarten Sie für das Öko-Institut und Ihre Nachfolgerin?
Meine Nachfolgerin Anke Herold wird sicher die internationale Arbeit des Öko-Instituts stärker voranbringen und womöglich noch interdisziplinärer arbeiten als ich. Eine zentrale Herausforderung sehe ich darin, dass sich viele Technologien, Produkte und Dienstleistungen gerade immens beschleunigen und es immer schwieriger wird, rechtzeitig darauf zu reagieren und für wissenschaftliches Know-how sowie angemessene politische Richtungsentscheidungen zu sorgen. Das betrifft Themen wie etwa die Digitalisierung oder Genom Editing. Darauf muss der Gesetzgeber schneller reagieren. Grundsätzlich bin ich mir aber sicher: Das Öko-Institut ist gut aufgestellt, diese neuen Trends zu analysieren und zu bewerten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
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Prof. Dr. Rainer Grießhammer ist seit 1980 für das Öko-Institut tätig, die meiste Zeit als Mitglied der Geschäftsführung. Seine wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte sind der produktbezogene Umwelt- und Klimaschutz sowie Transformationen. Er prägte die Produkt-Nachhaltigkeit-Analyse PROSA und gründete das Produktinformationsportal ecotopten.de. 1984 veröffentlichte der promovierte Chemiker den Bestseller „Der Öko-Knigge“. Prof. Grießhammer war unter anderem zwischen 1992 und 1994 Mitglied der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestags. 2010 erhielt er den Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.