„Versiegelung ist ein Totalverlust“
Christiane Weihe
Ein wertvoller Boden baut sich über Jahrtausende auf. Wir vernichten ihn in einem Bruchteil dieser Zeit. So können wir Boden nicht weiter behandeln, sagt Ricarda Miller. Die Agraringenieurin führt Bodengutachten und Bodenfunktionsbewertungen durch, begleitet Bauvorhaben und legt dabei stets einen starken Fokus auf den Bodenschutz. Wir haben mit ihr über die größten Belastungen für den Boden, die Möglichkeiten der Regeneration und das Bewusstsein für den Bodenschutz gesprochen.
Frau Miller, was wissen wir eigentlich über den Boden?
Das ist sehr unterschiedlich. Über die physikalischen und chemischen Prozesse wissen wir hier viel und auch über die unterschiedlichen Bodentypen. Über Bodenlebewesen hingegen wissen wir teilweise sehr wenig, viele Arten sind noch unerforscht. Gerade die Mikroorganismen und die Wirkungszusammenhänge zwischen Boden, Lebewesen und Pflanzen kennen wir nicht gut. Übrigens wissen wir auch nicht genügend über die Frage, wie sich der Klimawandel auf den Boden auswirkt. Trockenstress und eine höhere Bodentrockenheit ändern zudem natürlich die Zusammenhänge.
Kann sich Boden auch wieder erholen?
Böden entwickeln sich über Jahrtausende und können sehr schnell vernichtet werden. Vielen Menschen ist nicht klar, wie sensibel Böden sind. Eine Versiegelung ist zum Beispiel ein Totalverlust, weil die Bodenfunktionen zerstört werden, wenn kein Wasser und keine Luft mehr eindringen können. Bei 47 Prozent der Böden, die jeden Tag neu für Siedlung, Gewerbe und Verkehr in Anspruch genommen werden, ist dies der Fall.
Kann man Boden entsiegeln und so wieder nutzbar machen?
Ja, das geht und ist auch sinnvoll. Man kann nach der Entsiegelung einen durchwurzelbaren Bodenraum herstellen – hierfür braucht es aber Bodenexpert*innen. Dabei werden Böden, die an anderer Stelle ausgehoben wurden, vorsichtig aufgetragen. So kann man bestimmte Funktionen wiederherstellen, etwa für den Wasserhaushalt oder die Kühlungsfunktion. Man wird aber nie die gleiche Wertigkeit und die gleichen Funktionen erreichen wie bei einem natürlich gewachsenen Boden. Deswegen können wir mit der Bodenversiegelung auch nicht so weitermachen.
Ist die Versiegelung damit das größte Problem für den Boden?
In Europa schon. Aber es gibt noch sehr viele andere Probleme, verschiedene Arten der Bodendegradation. So die Verdichtung, die Versalzung oder die Versauerung. Der Boden ist auch durch die Landwirtschaft teilweise stark beansprucht. Die Bodenerosion, wenn Wind und Wasser Boden davontragen, ist ebenfalls ein Problem.
Lässt sich gegen Erosion etwas ausrichten?
Auf jeden Fall. Wasser kann man durch Erosionsschutzstreifen und Wind kleinräumig etwa durch Hecken aufhalten. Generell ist eine ganzjährige Bodenbedeckung wichtig, also zum Beispiel ein Anbau von Zwischenfrüchten. Das muss allerdings langfristig angelegt sein und lohnt sich dann auch für das Bodenleben, weil es einen besseren Umsatz an Nährstoffen gibt.
Gibt es Möglichkeiten, Böden wieder zu regenerieren?
Ja, und es wird auch schon umgesetzt. Bei großen Abbauvorhaben etwa von Braunkohle oder Kies werden Böden rekultiviert, das heißt, es wird Material von anderen Orten herangebracht und ein neuer Boden aufgebaut. Auch Schadstoffbelastungen können – bis zu einer bestimmten Grenze – abgetragen werden und es ist möglich, Böden durch Pflanzen zu sanieren, die Schwermetalle aufnehmen. Bei einer starken Bodenverdichtung können ebenso Pflanzen helfen, das Porenvolumen wieder zu erhöhen.
Wie hoch ist das Bewusstsein für den Bodenschutz in der Landwirtschaft?
Aus meiner Erfahrung sieht ein Großteil der Landwirtschaft den Boden als bewahrenswert an, er ist ja schließlich die eigene Produktionsgrundlage. Und die Landwirt*innen kennen ihre Böden auch sehr gut. Die Bewahrung steht trotzdem nicht an erster Stelle. Manchmal fehlt aber auch das nötige Wissen, etwa darüber, dass sich das Anpflanzen einer Zwischenfrucht lohnt – aber eben erst nach ein paar Jahren. Die landwirtschaftliche Ausbildung integriert den Boden- und Wasserschutz aus meiner Sicht noch viel zu wenig. Dabei kann es sich lohnen, die Produktion auch darauf auszurichten, das zeigen viele Beispiele, auch aus dem Ökolandbau.
Was tun Länder und Kommunen für den Bodenschutz?
Es gibt hier zahlreiche Leuchtturmprojekte und gute Beispiele, so etwa kommunale Bodenschutzkonzepte. Hier ist etwa Stuttgart ein echter Vorreiter. Die Stadt hat schon um die Jahrtausendwende erkannt, dass die Flächen ausgehen und mit einer Flächenkontingentierung gegengesteuert. Derzeit gibt es in Deutschland etwa zwanzig Städte mit einem Bodenschutzkonzept, darunter auch Berlin.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christiane Weihe.
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Im Interview mit eco@work:: Ricarda Miller, Leiterin des Regionalbüros Lenggries von Schnittstelle Boden