Mängel im Betrieb des Kernkraftwerks AVR Jülich bestätigt
Der Versuchsreaktor AVR Jülich wurde in den 1970er und 80er Jahren zeitweise mit überhöhten Temperaturen betrieben, ohne dass dies im Betrieb erkannt wurde. Auch kam es zu hohen radioaktiven Verunreinigungen im sogenannten Primärkreislauf des Kernkraftwerks, die zu erheblichem Mehraufwand beim Rückbau führten. Diese und weitere Erkenntnisse hat jetzt eine Expertengruppe unter Leitung des Öko-Instituts vorgelegt.
Die Wissenschaftler haben im Auftrag des Forschungszentrum Jülich und des Nachfolgebetreibers AVR GmbH geprüft, wie es zu den seit einigen Jahren bekannten überhöhten Temperaturen im Reaktorkern sowie den hohen Freisetzungen von Radioaktivität aus den Kugelbrennelementen kommen konnte. Der Reaktorkern des AVR wurde, anstatt des üblichen Aufbaus aus Brennstäben, aus etwa 100 000 Brennelementkugeln gebildet. Christian Küppers, stellvertretender Leiter des Institutsbereichs Nukleartechnik & Anlagensicherheit des Öko-Instituts, hatte den Vorsitz. Darüber hinaus waren an der wissenschaftlichen Auswertung Dipl.-Physiker Lothar Hahn, Professor Dr.-Ing. Volker Heinzel und Dr.-Ing. Leopold Weil beteiligt.
Die analysierten Problemfelder
- Überhöhte Temperaturen im Primärkreislauf
Im Primärkreislauf eines Kernkraftwerks wird die Wärme von den Brennelementen des Reaktorkerns zu den Dampferzeugern transportiert. Der AVR wies zeitweise gegenüber den geplanten Werten zu hohe Temperaturen innerhalb dieses Kreislaufs auf. Eine alleinige Ursache konnte nicht identifiziert werden. Bypässe im Kühlmittelstrom, Fehler bei der Beschickung des Kerns mit Brennelementen sowie Unsicherheiten bei der Modellierung des Fließverhaltens der Kugeln kommen als Ursache in Frage.
- Radioaktive Verunreinigung (Kontamination) des Primärkreislaufs
Innerhalb dieses Systems kam es zudem vor allen in den 1970er Jahren zur hohen Freisetzung von Radioaktivität aus den Brennelementkugeln. Zu diesen hohen Kontaminationen haben nach den Erkenntnissen der Wissenschaftler insbesondere ein im Betrieb nicht robuster Brennelementyp, die hohen Temperaturen sowie bis 1981 ein teils zu langer Einsatz von Brennelementen beigetragen. Die radioaktiven Stoffe wurden zwar nicht in zu großer Menge in die Umgebung abgeleitet, führten jedoch zu höheren Strahlenbelastungen des Betriebspersonals bei Arbeiten am Primärkreis.
- Dampferzeugerstörfall 1978
Während eines Störfalls im Jahre 1978 konnten rund 27 m³ Wasser in den Primärkreis des Reaktors gelangen – ein Zustand, der bei einem Hochtemperaturreaktor zu gefährlichsten Störfällen führen kann. Diese werden ausschließlich mit Gas gekühlt, da sich aus der Verbindung von Wasser mit dem Graphit des Reaktorkerns explosionsfähige Gase bilden können. Bei Überschreitung eines bestimmten Feuchtewertes sollte sich der Reaktor schnellabschalten. Dies ist 1978 nicht erfolgt.
Als Ursache für die fehlende Schnellabschaltung geben die Experten massives Fehlverhalten des Personals an. Die Betriebsmannschaft hat die Messbereiche der Feuchtemessung so umgestellt, dass der Reaktor weiterbetrieben werden konnte. Durch den Betrieb sollte eine Trocknung erfolgen, wobei aber immer mehr Wasser zutreten konnte. Zudem wurde das Ereignis lediglich in der niedrigsten Meldekategorie („N“, „geringe sicherheitstechnische Bedeutung“) an die Aufsichtsbehörden gemeldet. In der Folge kam es zu erhöhten Konzentrationen radioaktiver Stoffe innerhalb der Anlage sowie durch Verschleppung von Kontamination und Lecks auch im umgebenden Grundwasser und Boden.
Die Folge: Mehraufwand beim Rückbau
Auch wenn von keiner gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung durch die Kontamination von Boden und Grundwasser auszugehen ist, haben diese Mehraufwand beim Rückbau des AVR verursacht. Vor einer anderweitigen Nutzung des Geländes ist dessen Sanierung erforderlich. Diese setzt voraus, dass die Anlage abgebaut wird.
Hintergrund: Das AVR Jülich
Das Kernkraftwerk AVR Jülich (Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich) wurde 1967 als Versuchskernkraftwerk für die Stromerzeugung in Betrieb genommen. Ziel der 15 kommunalen Energieversorger war es zu zeigen, dass und wie ein gasgekühlter Kugelhaufenreaktor funktioniert. Er wurde bis 1988 betrieben und hatte in dieser Zeit einige Störfälle. Nach der Stilllegung war zunächst der „Sichere Einschluss“ der Anlage vorgesehen, das heißt alle radioaktiven Materialien werden im Reaktorgebäude konzentriert oder entfernt. Erst 2003 wurde entschieden, die Anlage vollständig abzubauen und das Gelände anderweitig zu nutzen.
Ansprechpartner
Christian Küppers
Stellvertretender Bereichsleiter im Institutsbereich
Nukleartechnik & Anlagensicherheit
Öko-Institut e.V., Büro Darmstadt
Tel: +49 6151 8191-123
E-Mail: c.kueppers@oeko.de