Volksentscheid Tegel: Richtigstellung zur Kostenschätzung Fluglärm
Am 24. September 2017 stimmen die Berlinerinnen und Berliner über den Weiterbetrieb des Flughafens Berlin-Tegel „Otto-Lilienthal“ (TXL) in einem Volksentscheid ab. Die Trägerin des Volksbegehrens („Berlin braucht Tegel“) argumentiert zu den Kosten für den Fluglärmschutz unter anderem mit einem Gutachten des Öko-Instituts aus dem Jahr 2005, das dafür Kosten von rund 109 Millionen Euro ermittelt habe.
Diese Argumentation ist aus Sicht des Öko-Instituts aus verschiedenen Gründen falsch bzw. unzulässig:
1. Die Kostenschätzung von 109 Millionen Euro ist keine vom Öko-Institut ermittelte Zahl.
Die zitierte Zahl für den Fluglärmschutz in Folge der Novelle des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm für Berlin Tegel von 109 Millionen stammt aus einer Dokumentation der Beratungen einer Expertengruppe, die die notwendigen Investitionen für Flughafenbetreiber im Rahmen der Novelle des Fluglärmgesetzes ermitteln sollte. Diese Arbeitsgruppe wurde 2004 vom Bundesumweltministerium (BMU) in Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) eingesetzt. Das Öko-Institut hat die Moderation, Organisation und Dokumentation des Prozesses übernommen. Es hat keine eigenen wissenschaftlichen Bewertungen oder Begutachtungen angestellt.
Im Zuge der Beratungen hat die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen e.V. (ADV) die Kosten für den Fluglärmschutz für den Flughafen Tegel mit etwa 109 Millionen beziffert. Die Arbeitsgruppe hat in ihrem Bericht deutlich gemacht, dass sie aus zeitlichen Gründen nicht in der Lage war, die Berechnungen der ADV auf Plausibilität zu prüfen. Die Arbeitsgruppe verständigte sich daher darauf, dass für den Flughafen Tegel (TXL) keine Kosten neu geschätzt werden, da die Schließung von Tegel im Zuge des Neubaus des Flughafens Berlin Brandenburg in den Planungen auf Landes- und Bundesebene bereits beschlossen war. Insgesamt beziehen sich die Aussagen der Arbeitsgruppe auf einen Referentenentwurf zum neuen Fluglärmschutzgesetz, das 2007 – allerdings in geänderter Fassung – beschlossen wurde.
2. Die Kostenschätzung von 2005 entspricht nicht dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung.
Die im Jahr 2004 bis 2005 diskutierten Kostenschätzungen sind aus Sicht des Öko-Instituts nicht dazu geeignet, Abschätzungen über Kosten für Maßnahmen zum Schutz gegen Fluglärm nach heutigem oder künftigem Recht zu treffen. So gehen etwa die bereits beschlossenen Fluglärmschutzmaßnahmen am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) über die Anforderungen des heute geltenden Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (FluLärmG) hinaus. Für den Frankfurter Flughafen etwa wurde ein Regionalfond eingerichtet, der ebenfalls zusätzliche Maßnahmen zum Schutz vor Lärm ermöglicht.
Im geltenden FluLärmG von 2007 wurde zudem festgelegt, dass die Vorgaben an die Lärmschutzbereiche im Jahr 2017 erneut überprüft werden. Dabei soll der aktuelle Stand der Lärmwirkungsforschung und der Luftfahrttechnik herangezogen werden, um die geltenden Regelungen zu überprüfen. Dafür hat das Umweltbundesamt im Juli 2017 einen ausführlichen Bericht vorgelegt. Der Bericht der Bundesregierung ist derzeit noch in Abstimmung.
Der Bericht des Umweltbundesamtes sowie weitere aktuelle Arbeiten und Stellungnahmen empfehlen, das FluLärmG in der kommenden Legislaturperiode zu überarbeiten. So soll den Ergebnissen der Lärmwirkungsforschung Rechnung getragen werden. Diese zeigen, dass die bisherigen Standards zum Lärmschutz in der Umgebung von Flughäfen nicht ausreichen. Eine Verbesserung des gesetzlich vorgesehenen Lärmschutzes wird sich direkt auf die Kosten an den Flughäfen auswirken.
Wissenschaftliche Neubewertung nötig
Die Änderungen im Gesetzgebungsverfahren 2007 und mögliche zukünftige Änderungen des FluLärmG, haben die Grundlage der Kostenschätzung – auch für den Flughafen Tegel – grundlegend verändert. Für eine seriöse Prognose möglicher Kosten bedarf es aus Sicht des Öko-Institut einer erneuten, wissenschaftlich abgesicherten Abschätzung und Bewertung.
In einem solchen sollte auch die Frage des „Mittelabrufs“ mit berücksichtigt werden. Die Erfahrungen an anderen Flughäfen zeigen, dass finanzielle Mittel für den Fluglärmschutz häufig von den Betroffenen nicht abgerufen werden. Dies hat verschiedene Gründe, etwa dass betroffene Anwohner die bereitgestellten Möglichkeiten als nicht ausreichend empfinden. So haben viele Betroffene beispielsweise nur ein Anspruch auf einen Lüfter, der eingebaut wird, damit Fenster in von Lärm betroffenen Wohngebieten nicht geöffnet werden müssen. Sie beantragen jedoch ein Fensterschließsystem, von dem sie sich mehr Ruhe versprechen, und erhalten deshalb keine finanzielle Förderung. Würden solche Probleme bei einer erneuten Anpassung des Gesetzes beseitigt, kann die Rate des Mittelabrufs deutlich ansteigen – eine verlässliche Prognose dazu ist derzeit allerdings nicht möglich.
Mehr von Lärm Betroffene bei Weiterbetrieb von Tegel
Der Flughafen Tegel ist im deutschlandweiten Vergleich einer der Flughäfen mit am meisten von Fluglärm betroffenen Anwohnern. Dies zeigen zum Beispiel die Ergebnisse der Lärmkartierungen der betroffenen Bundesländer gemäß der europäischen Umgebungslärmrichtlinie in einer Zusammenstellung des Umweltbundesamtes. Wird Tegel parallel zum BER weiter betrieben, bedeutet das in Summe eine Vielzahl Betroffener. Durch die zwei Standorte mag die Belastung für Tegel insgesamt zwar geringer ausfallen. Dennoch ist aus Sicht der Lärmwirkungsforschung davon auszugehen, dass die Belastung weiterhin in einem kritischen Bereich liegen kann.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist eindeutig belegt, dass Fluglärm – ebenso wie anderer Verkehrslärm – negative gesundheitliche Folgen haben kann. Hierzu gehören unter anderem ein höheres Risiko für das Auftreten von Depressionen oder Herzkreislauferkrankungen. Das hat unter anderem die europaweit aktuell größte Studie zur Lärmwirkungsforschung NORAH gezeigt, die das Öko-Institut wissenschaftlich begleitet hat.
Lärmschutz ist nicht nur „passiver Schallschutz“
Eine Kostendiskussion, die rein auf Maßnahmen des „passiven Schallschutzes“ – also auf bauliche Schutzmaßnahmen – zielt, greift aus Sicht des Öko-Instituts zu kurz. Die langjährigen Erfahrungen aus der wissenschaftlichen Begleitung am Frankfurter Flughafen zeigen, dass es zusätzlich zu baulichen Eingriffen auch Maßnahmen des „aktiven Schallschutzes“ braucht. Solche vermeiden und reduzieren den Lärm direkt an seiner Quelle, insbesondere beim Starten und Landen. Eine Verpflichtung zum aktiven Schallschutz ist derzeit allerdings nicht gesetzlich vorgeschrieben. Die Arbeit am Beispiel des Frankfurter Flughafens zeigt jedoch, dass die Lärmbelastung so deutlich verringert bzw. minimiert werden kann.
Weitere Informationen des Öko-Instituts zum Thema Fluglärm
„Lärm – Auswirkungen und Schutz“, Schwerpunktthema des Online-Magazins eco@work, Ausgabe 1/2017
Überblick über Arbeiten des Öko-Instituts zum Lärmschutz rund um den Frankfurter Flughafen
Weitere Informationen auf externen Websites
Fluglärmbericht 2017 des Umweltbundesamtes
Lärmkartierungen für deutsche Flughäfen des Umweltbundesamtes