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Fit for 55: die Bepreisung von CO2

Christiane Weihe

CO2 hat schon länger einen Preis. Wer es ausstößt, muss etwa im europäischen Emissionshandel seit 2005 Zertifikate kaufen. Doch längst nicht alle Verursacher von Treibhausgasemissionen sind von diesem Instrument erfasst. Das „Fit for 55“-Paket will für Ausgleich sorgen: Auch der Seeverkehr soll für Emissionen bezahlen, die kostenlose Zuteilung für den Luftverkehr soll enden und für Gebäude und Verkehr ein separater Emissionshandel installiert werden. Wie wirksam können die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Anpassungen und Neuerungen sein? Wo sind mutige Änderungen geplant und wo wären größere Ambitionen notwendig?

Bei der Bepreisung von CO2 gibt es vielfältige Änderungsvorschläge. Einige davon hat das Öko-Institut im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) in Factsheets zusammengefasst und offene Fragen für den weiteren politischen Prozess formuliert. So etwa mit Blick auf den bestehenden europäischen Emissionshandel (ETS 1). „Hier soll die Ambition erhöht werden, indem etwa das Cap gesenkt wird. Dieses legt fest, wie viel insgesamt ausgestoßen werden darf“, erklärt Jakob Graichen, Senior Researcher am Öko-Institut. „Das Cap wurde schon zuvor kontinuierlich abgesenkt, nach dem Willen der EU-Kommission soll das nun schneller geschehen. Zudem ist eine einmalige Absenkung um 117 Millionen Zertifikate geplant.“ Auch bei der Marktstabilitätsreserve (MSR) sind Anpassungen vorgesehen. Sie dient dazu, den bestehenden Überschuss an Emissionszertifikaten abzubauen, aber auch dazu, übermäßige Spitzen bei Angebot und Nachfrage auszugleichen. „Bei der MSR wird sich nicht viel ändern, da hätte ich mir größere Ambitionen gewünscht“, sagt Graichen. Für die Deutsche Emissionshandelsstelle im UBA hat er einen Rechner entwickelt, um das Verhalten der MSR unter verschiedenen Annahmen zu simulieren. „Sollten die CO2-Emissionen schneller sinken als erwartet, wäre der Vorschlag der EU-Kommission zu schwach und der Überschuss an Zertifikaten würde wieder wachsen.“

Auf dem Wasser und in der Luft

Auch beim Luftverkehr, der seit 2013 Teil des europäischen Emissionshandels ist, soll es Änderungen geben. „Hier gibt es ebenso ein Cap, das schneller sinken soll als bislang vorgesehen. Eine einmalige Reduktion ist nicht geplant“, erklärt der Wissenschaftler vom Öko-Institut. „Darüber hinaus soll 2027 die Praxis enden, dass die Branche 85 Prozent der Zertifikate umsonst bekommt.“ Kritisch sieht Graichen, dass andere Klimafolgen des Luftverkehrs wie zum Beispiel Wolkenbildung nicht reguliert werden. „Dabei haben sie ungefähr die doppelte Klimawirkung im Vergleich zu den CO2-Emissionen.“

Darüber hinaus soll der Emissionshandel ab 2023 auf den Seeverkehr ausgeweitet werden, denn er trägt etwa drei Prozent zu den gesamten CO2-Emissionen der EU bei – ungefähr so viel wie Belgien. Schiffsunternehmen müssen für größere Schiffe (Bruttoraumzahl über 5.000) dann ebenfalls Zertifikate kaufen. Innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums gilt der Emissionshandel für alle Fahrten, bei Fahrten von und zu Drittstaaten zu 50 Prozent. „Es gibt einige Ausnahmen – etwa für Schiffe für den Fang oder die Verarbeitung von Fisch – und auch die Binnenschifffahrt wird nicht berücksichtigt“, sagt Jakob Graichen. Grundsätzlich sieht er hier aber einen „sehr großen Fortschritt und einen der besonders starken Punkte im Vorschlag der EU-Kommission“, da der Seeverkehr im europäischen und globalen Klimaschutz bislang ein blinder Fleck gewesen sei.

Gebäude und Verkehr

Ein wesentlicher Änderungsvorschlag ist auch die Einführung eines separaten Emissionshandels für Straßenverkehr und Gebäude (ETS 2) ab 2026, dessen Zertifikate vollständig versteigert werden sollen. Erwerben müssen diese Zertifikate die In-den-Verkehr-Bringer von fossilen Brennstoffen. „Es würde ja auch keinen Sinn machen, wenn jeder, der ein Auto fährt oder eine Gasheizung im Keller hat, am Zertifikatehandel teilnimmt.“ Auch eine Trennung vom ETS 1 hält der Wissenschaftler vom Öko-Institut für sinnvoll. „Dort sind wir nun endlich an dem Punkt, an dem die Systemfehler der Vergangenheit ausgebügelt sind. Das könnte bei einer Einbindung der neuen Sektoren wieder gefährdet werden.“

Grundsätzlich ist es natürlich wichtig, Verkehr und Gebäude in den Blick zu nehmen – denn hier ist in Sachen Klimaschutz bislang bei Weitem nicht genug passiert. „Der ETS 2 wird allein die Probleme dieser Sektoren aber nicht lösen, sondern kann andere Politiken nur unterstützen“, sagt Graichen. „Was wir dringend brauchen sind etwa beschleunigte Sanierungen von Gebäuden und weniger Verbrennungsmotoren auf den Straßen.“ Mit Regulierung – etwa dem Verbot von neuen Gasheizungen oder strengeren Effizienzstandards für Gebäude – käme man in diesen Sektoren deutlich besser voran. Zudem sei unklar, wie sich der ETS 2 auf den CO2-Preis auf Heiz- und Kraftstoffe auswirken wird, der in Deutschland seit 2021 im Rahmen des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) erhoben wird. „Im BEHG sind etwa Energieverbraucher erfasst, die das beim ETS 2 nicht wären, was zurecht kritisiert wird. Der ETS 2 sollte auf alle Energieverbräuche ausgeweitet werden.“

Ein europaweiter CO2-Preis biete zugleich enormen sozialen Sprengstoff, sagt der Experte aus dem Bereich Energie & Klimaschutz, da etwa Mietende keinen Einfluss auf die Wärmedämmung oder die Art der Heizanlage haben. „Da sich der ETS 2 voraussichtlich vor allem auf einkommensschwächere Haushalte auswirken würde, soll es einen Klimasozialfonds geben, in den etwa 25 Prozent der Einnahmen aus dem ETS 2 fließen. Welcher Mitgliedsstaat davon wie viel für Klimasozialpläne bekommt, richtet sich nach unterschiedlichen Faktoren wie etwa der Zahl der Menschen, die durch Energiearmut gefährdet sind“, erklärt Graichen. „Das ist ein guter Ansatz. Aber ob er funktionieren kann, ist bislang unklar.“ Insgesamt sei es zudem ungewiss, ob der ETS 2 überhaupt eingeführt würde. „Viele Mitgliedsstaaten inklusive Deutschland sehen den Kommissionsvorschlag kritisch.“

Neue Steuern und Abgaben

Auch die oftmals kritisierte kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an die Industrie geht die EU-Kommission an. „Es wurde ja argumentiert, dass die Produktion in Länder ohne Klimaschutzmaßnahmen abwandert, wenn in Europa etwa die Stahlindustrie keine freie Zuteilung mehr bekommt“, so der Wissenschaftler, „daher ist jetzt ein Grenzausgleichsmechanismus angedacht, der Importe mit einem CO2-Preis belegt.“ Länder, die selbst einen Emissionshandel haben, wären davon befreit. Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) soll schrittweise eingeführt werden und ist nicht ohne Herausforderungen. „Idealerweise wüsste man zu jeder Tonne Importstahl, in welcher Fabrik sie produziert wurde und wie hoch die spezifischen CO2-Emissionen dieser Anlage sind“, sagt Graichen. „Der CBAM führt idealerweise dazu, dass auch andere Länder weltweit einen Emissionshandel einführen.“

Positiv sei auch die Energiesteuerreform, die zusätzlich auf dem Tisch liegt. „Hier sollen die Steuersätze zum Beispiel an den Energiegehalt und die Umweltwirkung angepasst werden – das wäre das endgültige Aus für die geringere Besteuerung von Diesel. Außerdem würde Kerosin endlich besteuert werden.“ Doch der Senior Researcher ist nicht sehr optimistisch, dass die Pläne es tatsächlich in die Umsetzung schaffen. „Etwa, weil Änderungen im Steuerrecht einstimmig beschlossen werden müssen.“

Jakob Graichen und seine Kol­leg­*innen werden in den Prozess von „Fit for 55“ weiter involviert sein. So gehört das Öko-Institut zusammen mit Ricardo AEA aus Großbritannien und dem österreichischem Umweltbundesamt zu einem Konsortium, das den Verhandlungs- und Gesetzgebungsprozess begleitet und die EU-Kommission mit Analysen und Einschätzungen unterstützt. Eine Aufgabe, die die Wissenschaftler*innen gemeinsam mit dem Fraunhofer ISI und dem DIW Berlin auch auf nationaler Ebene wahrnehmen: Sie beraten die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) des Umweltbundesamtes sowie das Bundesumweltministerium, bringen ihre wissenschaftliche Expertise sowie insbesondere ökonomische Analysen ein. Denn es klingt auf den ersten Blick vielleicht einfach, dass CO2 einen Preis hat. Wie er erhoben wird und welche Wirkung er entfalten kann, ist auf den zweiten Blick alles andere als das.

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Jakob Graichen arbeitet am Öko-Institut umfassend zur nationalen und internationalen Klimaschutzpolitik. Der Diplom-Physiker widmet sich etwa Emissionshandelssystemen sowie der Quantifizierung von Treibhausgasemissionen. Ein Fokus seiner Arbeit liegt zudem auf einem klimaneutralen Luft- und Schiffsverkehr.